Altona

Die große, blonde Frau, mit dem fast perückenhaft dichten, überschulterlangen Schopf blieb abrupt im Eingangsbereich des Drogeriemarkts stehen, schob die nach vorn gerutschte Sonnenbrille weiter zurück ins Haar und blickte angestrengt auf ihr Handydisplay. Ihr Stehenbleiben stoppte auch mich, die ich just hatte eintreten wollen, aber an der Frau mit wegstehender, prall gefüllter Umhängetasche gab es kein Vorbeikommen.

Ende fünfzig mochte sie sein, mit frischer Toffifeebräune und lachsfarbenen Fingernägeln. Das Kleid in leuchtendem Aquamarin, wadenlang, v-dekolletiert und zu meiner Irritation mindestens eine Nummer zu klein, so dass sich jedes Detail ihres vielformigen Körpers inklusive der Unterwäsche außerordentlich abzeichnete. Es irritierte mich deshalb, weil nichts an dieser Frau zufällig war. In den Ohrringen wiederholte sich der Aquamarinton des Kleides ebenso wie in ihren Augen und dem offensichtlich edelmetallbasierten Ring an ihrem linken kleinen Finger. Die Haare hatten glätteisengeformte Wellen, die Füße steckten in sommerlichen weißen Leinen-Peeptoes mit Korkblockabsatz. Alles saß. Das Kleid jedoch nicht im geringsten.

„Bist du das, Klaus?“ Sie hielt das Handy nunmehr butterbrotgleich auf Mundhöhe und blinzelte ins Gegenlicht der Frühabendsonne. Während sich andere Kunden vorbei an der rege mit Klaus sprechenden Dame schlängelten, was diese mit einem Linksschritt aufmerksam erleichterte, stand ich weiter vor dem Geschäft und schaute auf die Aquamarinsilouhette, die sich auf Zwerchfellhöhe bei jedem Satz erst einzog und dann ausdehnte. Dann schwieg sie und nickte und nickte und nickte.

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Papa

Beim ersten Gespräch sagten sie kaum ein Wort. Hörten zu. Hielten die Teetasse in der Hand, legten die Handflächen um die Tischkante, machten sich gerade entlang der Stuhllehnen. Nicken oder Kopfschütteln auf meine Fragen. Gibt es ein Familiengrab? Möchten Sie den Vater noch einmal sehen? Möchten Sie Trauerkarten? Eine Trauerfeier? Möchten Sie das Abschiedshaus anschauen? Den Pappelholzsarg anschauen?

Nach nur fünfunddreißig Minuten verabschiedeten wir uns. Keine Fragen. Sie gingen. Zu meiner Bürokollegin sagte ich danach „Ich bin unsicher, ob sie bleiben.“ Aber schon eine Stunde später klingelte das Telefon. „Wir möchten, dass Sie unseren Vater bestatten und kommen dann morgen zum Termin.“

Drei Männer. Drei Brüder. Drillinge.

„Das war selten damals“, sagt Heiko. Es ist einer der wenigen persönlichen Sätze. Heiko kam als erster zur Welt. Er soll unterschreiben meinen die Brüder Harald und Holger. Sie sagen es nicht, sie schauen ihn nur an. Er schaut mich an.

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Tag ohne ein Wort

Sommerregen. Sein süßer Duft passt zu den Maserungen aus Blütenstaubzuckerguss auf dem Lack all der unbedeutend grauen Autos unter meinem Balkon. Heute früh bin ich nach Altona gefahren. Stand im Bus. Klebrig auch ohne Regen.

Ich hatte erst ein Kleid angezogen. Dann einen Rock mit Top. Schließlich eine ¾-Jeans und ein Shirt. Es war bewölkt, die Morgenluft sommerfrei. Wie gleich wir alle aussehen, dachte ich im Bus. Shirts und Hosen, wahlweise zu eng oder zu weit. Jedenfalls niemand bemerkenswert, auch nicht im Gesicht. Wie trostlos wir dreinblicken. Im Sommer. Im Überfluss. Wenn wir doch ohnehin alle so fades Zeug tragen, wozu dann der Überfluss? Ich ließ mich lächeln ohne Not, ohne Überzeugung. Vielleicht nur, um eine Sekunde anders zu sein. Lächerlich.

Kaum am Busbahnhof angekommen, bereute ich die Zielwahl. Was mir gestern, als ich mit einem guten Freund zur Tea-Time verabredet gewesen war, noch bunt und illuster erschienen war, präsentierte sich jetzt wuselig, laut und voll. Too much. Geht weg. Me too.

Ich lief los. Ottenser Hauptstraße. Tangoklänge, plötzlich. Tanzende Paare. Ich habe keine Ahnung von Tango. Manche wirkten „fortgeschritten“, andere übend, alle aber schön. So schön. Weil innig. Fließend. Natürlich blickten viele zu ihnen, nicht nur ich. Und überall das Lächeln in den blickenden Gesichtern. Und wie schön die Tangomenschen waren. In ihrer Haltung, ihrer Freude. Der Versunkenheit. Egal, ob gut oder weniger. Ich wollte weinen und weinte. Ach nein, das klingt eruptiv. Es war still, nur ein Kullern aus dem unbelebten Herz. Die Sonne brach durch die Wolken und ich hasste die Jeans und das Shirt und das Fehlen von.

Ging weiter. Blickte in Schaufenster. So viel Schönes. Unnützes. Ich nahm mir vor mich zu beschenken. Griff in Stoffe. Berührte Gold und Silber. Je mehr ich sah, desto weniger wollte ich. Dachte an den Tango. Die schönen Menschen. Schön, weil sie so viel Freude hatten. Wie bringt man Freude in einen Bus?  Wie tanzt man Tango oder Flamenco? Ich wollte nach Hause und ging.

Wieder der Bus. Die klebrige Luft. Polyester as usual. Das Leben ist wunderschön. Selbst dann, wenn man nur daneben steht. Ich drehte die Musik lauter in meinem Ohr. Machte mich schmaler für die Einsteigenden. Und bereit für den Tag ohne ein Wort.Ohnew

Für den Fall

Seit Tagen wasche ich den Traum
mit verlorenen Farben aus,
drehe die Uhren auf eins
zurück.
Wenn ich etwas wünschen dürfte,
ich bliebe in den Baumkronen,
säße zwischen den Reisigbetten verborgen
und sammelte das Flüstern der bunten Federn
für den Ernstfall.
Wie einst dein Wort.

Das Buch ist in Druck!

Mein erster Erzählband „Dienstag mit Taube“ – bald ist er da!

„Dank ihrer bisherigen Lebensrollen als Kosmetikerin und Dozentin, Trainerin, Rednerin, Schauspielerin und Bestatterin hat Bettina Strang einen bemerkenswert detailgenauen Blick auf Menschen und Umwelt und ein liebevolles Gespür für die Poesie des Alltags entwickelt. In ihrem ersten Erzählband begleiten wir die gebürtige Rheinländerin auf ausgedehnten Spaziergängen durch ihre Herzensstadt Hamburg, lernen dabei allerlei herzliche bis knurrige Charaktere kennen und begegnen dem Wunderbaren in ganz alltäglichen Momenten.“

(https://www.dreiviertelhaus.de/…/dienstag-mit-taube/)

Mein ganz besonderer Dank gilt Kornelius Wilkens, für das wunderbare Coverbild!

Wer ein signiertes Buch möchte, schreibt bitte an mich.

Wer es verlagsfrisch (vor)bestellen möchte, schreibt direkt an bestellung@dreiviertelhaus.de und bekommt es sofort ab Verlag geliefert.

Rechtzeitig als adventsversüßender Lesestoff oder Weihnachtsgeschenk.