Tag ohne ein Wort

Sommerregen. Sein süßer Duft passt zu den Maserungen aus Blütenstaubzuckerguss auf dem Lack all der unbedeutend grauen Autos unter meinem Balkon. Heute früh bin ich nach Altona gefahren. Stand im Bus. Klebrig auch ohne Regen.

Ich hatte erst ein Kleid angezogen. Dann einen Rock mit Top. Schließlich eine ¾-Jeans und ein Shirt. Es war bewölkt, die Morgenluft sommerfrei. Wie gleich wir alle aussehen, dachte ich im Bus. Shirts und Hosen, wahlweise zu eng oder zu weit. Jedenfalls niemand bemerkenswert, auch nicht im Gesicht. Wie trostlos wir dreinblicken. Im Sommer. Im Überfluss. Wenn wir doch ohnehin alle so fades Zeug tragen, wozu dann der Überfluss? Ich ließ mich lächeln ohne Not, ohne Überzeugung. Vielleicht nur, um eine Sekunde anders zu sein. Lächerlich.

Kaum am Busbahnhof angekommen, bereute ich die Zielwahl. Was mir gestern, als ich mit einem guten Freund zur Tea-Time verabredet gewesen war, noch bunt und illuster erschienen war, präsentierte sich jetzt wuselig, laut und voll. Too much. Geht weg. Me too.

Ich lief los. Ottenser Hauptstraße. Tangoklänge, plötzlich. Tanzende Paare. Ich habe keine Ahnung von Tango. Manche wirkten „fortgeschritten“, andere übend, alle aber schön. So schön. Weil innig. Fließend. Natürlich blickten viele zu ihnen, nicht nur ich. Und überall das Lächeln in den blickenden Gesichtern. Und wie schön die Tangomenschen waren. In ihrer Haltung, ihrer Freude. Der Versunkenheit. Egal, ob gut oder weniger. Ich wollte weinen und weinte. Ach nein, das klingt eruptiv. Es war still, nur ein Kullern aus dem unbelebten Herz. Die Sonne brach durch die Wolken und ich hasste die Jeans und das Shirt und das Fehlen von.

Ging weiter. Blickte in Schaufenster. So viel Schönes. Unnützes. Ich nahm mir vor mich zu beschenken. Griff in Stoffe. Berührte Gold und Silber. Je mehr ich sah, desto weniger wollte ich. Dachte an den Tango. Die schönen Menschen. Schön, weil sie so viel Freude hatten. Wie bringt man Freude in einen Bus?  Wie tanzt man Tango oder Flamenco? Ich wollte nach Hause und ging.

Wieder der Bus. Die klebrige Luft. Polyester as usual. Das Leben ist wunderschön. Selbst dann, wenn man nur daneben steht. Ich drehte die Musik lauter in meinem Ohr. Machte mich schmaler für die Einsteigenden. Und bereit für den Tag ohne ein Wort.Ohnew

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