Flashback

Zweimal dreht sich der Schlüssel im Schloss, dann nimmt mich die stille Wohnung auf. Die Tür fällt hinter mir zu, ich lehne mich nicht an sie; werfe Tasche und Jacke auf den Boden, betrete die Küche, schenke hastig und achtlos ein Glas Rotwein ein, das unangerührt auf der Anrichte  bleibt. Gehe wieder hinaus. Hinüber ins abgedunkelte Schreibzimmer. Licht? Keine Musik. Ich bewahre die Dunkelheit und lasse die Rollos unten. Eine Jacke. Die Gänsehaut auf meinen Armen erinnert mich daran, wie sehr ich fröstele. Eine Jacke ist wie keine Umarmung. Ich greife zum Telefon. Henk geht nicht ran.

„Wenn’s dich nicht stört, ich sitz grad am Compi und guck mir Klodeckel an.“ An Suses Stimme erkenne ich, dass sie das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt hat.

„Nein. Neinnein. Stört nicht. Klodeckel sind gut.“

Suse lacht: „Ich glaube nicht, dass ich heute einen kaufe. Es treibt mich zu diesen Spaß-Designs. Das bereue ich spätestens in drei Tagen. Aber kann man benutzte Klodeckel zurückgeben?“

Mir fällt keine Antwort ein.

Der Mann im Zug ist nur an mir vorbei gegangen. Mehr nicht. Ich weiß gar nicht, wie er aussah. Da war nur der Duft. Gar nicht lang. Das Parfum. Wie Muränen schossen die Bilder aus der Tiefe in mein Bewusstsein. Ich wollte aufspringen, blieb sitzen. Meine Sitznachbarin sah irritiert auf das niedergedrückte Aufbäumen meines Körpers.

„Ich könnte einen Kompromissdeckel kaufen. Weder weiß, noch Spaßdesign. Dafür in blau-glänzend oder Marmoroptik.“

Ich wiederhole verunglückt sorglos „blauglänzend“ und versuche mich in Suses Bad zu denken. Denke an heißes Wasser auf meiner Haut. Schaum. Abtauchen in den Duft von Fenjala. Wie bei Oma, früher, wenn ich allein in den Ferien dort war und ein „Mäderlbad“ nehmen durfte. Als die Badetücher so groß waren, dass kein Luftzug eine Chance hatte.

Suses Stimme ist weich und gepresst. Manchmal verrutscht sie. Sie weiß, dass ich nie anrufe und plappert. Ich stelle auf Lautsprecher und lege meine Hände auf meine Oberarme. Es wird warm. Die Lichtstreifen neben den Rollos sind verschwunden. Bevor die Fruchtfliegen ertrinken, gehe ich in die Küche und schütte den Wein in den Ausguss. Der Tag ist längst vorbei.

Der Lyrikband ist da!

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„Diese Gedichte geben Eindrücken und Empfindungen ein Zuhause, die das dringend brauchen, weil sie sonst kein Dach überm Kopf hätten“, sagt der Hamburger Journalist und Autor Till Raether über den vorliegenden Band – Worte, die mich ganz besonders gefreut haben!

Es freut mich, wenn meine Gedichte berühren. Dass sie einen Ton anschlagen, der in den LeserInnen Widerhall findet.
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Bikinimoment

Meinen letzten Bikini hatte ich mit zwölf. Vielleicht auch mit acht. Ich glaube auch nicht, dass ich auf meinem Sterbebett gesagt hätte, dass mein bikinifreies Leben Grund zur Reue gewesen wäre. Ich halte mich selten an Stränden auf. Und wenn, dann ist es meist kühl oder ich will ohnehin lieber spazieren oder ich stelle fest, dass ich eh keinen Bikini besitze bzw. besäße ich einen, hätte ich ihn sicher vergessen, weil ich Bikinibesitzen nicht gewöhnt bin. Bikinitragen ja auch nicht.
Trotzdem schlich ich heute durch eine Bademodenabteilung, weil ich das Gefühl nicht los werde, dass ein Bikinimoment in meinem Leben bevorsteht. Eventuell. Möglicherweise. Jedenfalls möchte ich gewappnet sein. Oder einfach mitreden können. Mal was völlig flippiges tun, nech?

Da war sehr viel in neonpink und neongelb und neongrün. Mit Oberteilen so dick gepolstert wie Kopfhörer. Dunkelblau mit Pünktchen und eine schlammgrüne Kollektion mit Glitzerpartikeln. Ich war etwas ratlos. Meine Neonzeit war in den Achtzigern. Pünktchen habe ich selbst genug in Form von Muttermalen und in schlammgrünen Glitzerpartikeln sähe ich aus wie eine Ninja-Turtle auf Disneyspeed. Für Badeshorts bin ich zu unsportlich und für diese putzigen „Schößchen-Höschen“ fehlt mir der Latino-Hüftschwung. Ein Jammer.
Eine Verkäuferin schwebte vorbei, und bevor sie zwischen all dem bunten Lycra verschwinden konnte, fragte ich:
„Entschuldigen Sie, ist das die gesamte Kollektion oder haben Sie noch mehr Auswahl bei Bademoden?“
Sie sah mich an und antwortete:
„Wir haben eine Etage tiefer auch Bademoden für Ältere.“

Ich …
…habe dann einen Hut gekauft. Später.

Vatermoment

Mein Vater war 56 Jahre alt, als ich zur Welt kam. Da hatte er bereits einen Herzinfarkt und einen Weltkrieg hinter sich.
Er hat mir nie etwas vorgelesen. Oder mir bei den Hausaufgaben geholfen. Die Hitze in Afrika sei schlimmer gewesen, als die Kälte in Russland. Das hat er erzählt. Kinderspiele kannte er nicht. Er hat mich auf den Friedhof mitgenommen, zum Blumengießen. Oder mit an die Tankstelle und in die Waschstraße. Bis heute mag ich grabumrandete Stiefmütterchen und den Geruch von frisch gezapftem Super.
Bei guten Noten sagte er „Du bist eine Eins.“, und bei schlechten „Man kann nicht mehr tun, als man tun kann.“.
Wirklich interessiert hat ihn beides nicht. Er aß klaglos alle Essensreste, die ich auf meinem Teller ließ. Meine Mutter sagte dann: „So lernt sie es nie!“
Er mochte Hausmannskost. Als er dement wurde nur noch Pfannkuchen. Oft fing er unaufgefordert an zu singen. Selbst im Schwimmbad, wo er jeden Morgen seine Bahnen zog. Kaffee mit Milch, ohne Zucker. Bei jedem Frühstück rutschte sein Daumen in die Butter-Marmeladen-Schicht des Brötchens. Trotz Abschleckens blieben immer rote Tupfen am Rand des Politikteils der Tageszeitung.
Wir haben nie viel miteinander geredet. Warum-Fragen konnte er nicht beantworten. Andere hatte ich nicht. Meistens kam er spät nach Hause, wenn ich längst im Bett war. Dann hörte ich die schweren, bemüht leisen Schritte auf der ächzenden Holztreppe. Ich stellte mich schlafend und wartete auf das sachte Öffnen meiner Tür. Nur einen Spalt, damit mich der Lichtkegel nicht erreichte. Drei Atemzüge lang ruhte sein Blick auf dem schlafenden Kind. Es blieb unsere innigste Form der Berührung.

Ab heute: WORTSTRANG

Liebe Menschen im Anderswo,

das Wort und ich sind untrennbar. Nun auch im Blognamen. Die MASKENPAUSE verabschiedet sich und heißt ab heute WORTSTRANG. Der Rest bleibt wie gehabt. Es wird spaziert, gestaunt, geschrieben. Ohne Ole. Vielleicht mit Henk. Immer mit mir.

Einen wunderbaren Sonntagabend für Euch!

Bettina