Brezelbreak

Es sind genau 18 Minuten, die ich in der Schlange des „Hofbräu Imbiss“ am Münchner Flughafen verbringe. Die Schlange ist lang. Ein endloser Bandwurm, der sich kaum vorwärts bewegt. Die junge Bedienung mit den fliedergeschminkten Lippen und der lieblichen Flechtfrisur agiert wie im Zeitraffer. „Wedges? Mit Ketchup oder Sour Cream? Kaffee oder Cappuccino? Welche Größe? Keks?“ Sie blickt nie auf, aber ihr Lächeln ist warm.
Es ist unruhig. Stimmenwirrig. Durchsagen grätschen in Bestellungswünsche. Deutsch ist nicht zu unterscheiden von Englisch oder eilig gehaspeltem „A Maß und zwoa Panini bittschön. Naaa, ned mit am Moorzarella. Die mi’m Schink‘n.“

Rasch ist das neue flink. Die Griffe: routiniert. Ich frage mich, ist das „Flow“ oder Wahnwitz? Panini in den Grill, Würstel auf Teller, Kaffee in Becher, Wedges in Schüsseln, Bier in Krüge, Sandwiches in Tüten, Ketchup auf Pommes, Mayo zu Beilegen, Schnitzel trifft Radi, Cola aus Kühlschrank, Wasser in Flaschen, Salat mit Dressing.

Ich komme an die Reihe, ihre Hand schnellt startbereit zum Kasseneingabedisplay. „Eine Brezel bitte. Ohne Tüte einfach auf die Hand. Behalten Sie das Rückgeld. Unglaublich, wie Sie das hier machen.“ Sie stockt. Dreht sich um, greift zur Brezel, zur Tüte, legt die Tüte wieder weg, hält die Brezel unschlüssig mit der Zange in der Luft. Dann bleibt sie kurz stehen. Blickt erstmals auf. Blickt mich an. Lacht. „Das…ist jetzt so überraschend.“ Ich nehme die Brezel, nicke und gehe.“ Die nächste Bestellung. Ich höre sie fragen „Mustard for the Weißwuaschd?“

Später im Flieger versuche in den Mond zu fotografieren. Er bleibt ein kleiner, aber heller Punkt. Wie manche Begegnungen eben auch.

Schuhschlappe

„Wir führen ab 42,5.“
Manche Sätze lassen mich sogar mittags um zwei ins Bodenlose stürzen. Normalerweise heißt der Satz: „Es tut mir leid, Ihre Schuhgröße haben wir nicht.“
Oder: „Wir führen nur bis 41.“
Im Fachgeschäft für Damen- und Herrenschuhe für Übergrößen wähnte ich mich endlich angekommen. Dachte ich. Tagelang hatte ich mir vorgestellt eine Art Fuß-El Dorado zu betreten. Ich sah mich Schuh um Schuh anprobieren. Auswahl ohne Ende. Pumps, Stiefel, Sneaker.
Passend, grenzenlos. Taumel. Glühende Kreditkarten. Kaufrausch und Stilettokoma.
Und nun war jäh alles zu Ende.
Ich habe jüngst irgendwo gelesen, dass Deutschlands Füße immer größer werden. 46 für Damen sei keine Ausnahme mehr. Aha. Soso. Nur im Bereich 41,5/42 klafft offensichtlich ein nationales Loch von ungeahntem Ausmaß. Meine Füße scheinen keinen Realwert zu haben. Es gibt sie nicht. Denn es gibt keine Schuhe.
„Manche Modelle haben wir aber auch in 42. Manchmal.“
Ich vermute aus Gnade. Staatlich verordnet. Um die Selbstmordrate bei 42er-Nerds gering zu halten. Ich kann mich nicht einmal damit selbst beruhigen, dass „ich da noch hineinwachsen werde“. Ich bin seit mindestens 25 Jahren in nichts mehr hinein gewachsen – allenfalls heraus. Aber wahrscheinlich sehe ich das einfach alles zu eng. Wahrscheinlich sind passende Schuhe in moderater Auswahl restlos überbewertet. Es könnte auch mein Markenzeichen werden, Badeschlappen zum Kostüm zu tragen. Das Leben kann so einfach sein.

Kassenschlangenmoment

„Minus Vier??? Ey, minus vier ist dein IQ, Digga!“
An der Kasse hinter mir hat sich fünfmal hilflos überproduziertes Testosteron im Alter zwischen ca. 16-20 Jahren versammelt. Grillkohle, Bier und Chips.
„Digga, du redest nur Stuss!“
Die alte Dame vor mir dreht sich um. Blickt mich an. Blickt die Diggas an.
„Digga, du regst mich echt auf, Digga!“
Unwillkürlich muss ich an schlechte Verkäufer denken, die den Kundennamen zwecks persönlicher Bindungsherstellung übermäßig oft betonen. „Dieses Angebot, Frau Digga, ist speziell für Sie entwickelt worden, Frau Digga.“ Ich muss laut lachen. Man blickt kurz zu mir. Sogar die rothaarige Kassenfee mit der türkisfarbenen Modebrille. Blick: streng.

An der Nebenkasse wuselt sich ein kleiner Japaner an der Warteschlange vorbei. „Darf ich vor? Ich hab nur drei Teile.“ Ein mächtiger Bartträger mit Tattoo am Hals bremst ihn triumphierend aus: „Ich hab nur zwei. Und nun?“ Der Japaner zögert. „Sie können mich trotzdem vorbeilassen!“ Spricht es und flitzt vor. Der Bartträger schnauft sprachlos. Ich muss wieder lachen. Versuche es diesmal leise. Hoffnungslos.
„Digga, guck dir den Floh an, Digga! Der machts richtig!“ tönt es rustikal hinter mir, als der Japaner aus dem Supermarkt saust.
Die alte Dame vor mir hat ihre Waren aufs Band gelegt. Den leeren Korb hält sie einen Moment unentschlossen in der sichtbar zittrigen Hand. Dann dreht sie sich um, streckt den Korb an mir vorbei den Jungs entgegen und sagt: „Wären die Herren Digga so nett, das wegzustellen?“
Blicke: höchst perplex.
„Krasse Ansage, ey!“.
Der Korb wird ordentlich weggestellt.
Das Leben in Freitagabendkassenschlangen in der Hoheluftchaussee ist unbezahlbar!

Chausseemoment

Hoheluftchaussee.
Schon von weitem sehe ich das weiße Hemd, die dunkelblauen Hosen und die verspiegelte Pilotensonnenbrille. Der Gang des Mannes offenbart eine Frühprägung durch intensiven John-Wayne-Western-Konsum oder ein beginnendes Hüftleiden, da bin ich mir nicht so sicher. Uns trennen vielleicht noch 3 Meter, als John ein Knie beugt und sich hinab bückt, um den rechten Schuh zu schnüren.
Die Menschen hinter ihm weichen dem plötzlichen Hindernis schnell und geschmeidig aus. Schon bin auch ich auf seiner Höhe. Gleich an ihm vorbei. Und ertappe mich bei dem Impuls, ihn kurz anstupsen zu wollen, damit er vorn über kippt. Wie eine Statue. Plong. Johns Pilotenbrille würde von der Nase purzeln. Er selbst, nachdem die Nase den Boden berührt hat, seitlich kippen.
Dass ich mich bei diesem (unausgeführten) Impuls nicht abscheulich, sondern lediglich ob meiner selbst irritiert fühle, liegt ausschließlich daran, dass John nicht real wirkt, sondern wie eine Comicfigur. Ich will ihm nicht weh tun. Ich will nur das lustige Purzeln sehen.
Verstohlen blicke ich zurück. John schnürt den zweiten Schuh. Keine zwei Meter bin ich weiter, da höre ich ein dumpfes „Plomp“. Dann ein „Houmpfff“ und eine Frauenstimme sagt: „Hoppla! Alles ok?“
John ist zur Seite gepurzelt. Eine Passantin neben ihm blickt kurz besorgt. Nichts passiert.
Für den Rest des Tages war mein Kopfkino wegen Unheimlichkeit geschlossen.

Morbus Cosmeticus

Kosmetikschule

Kosmetikschulen sind spezielle Orte. Bei diesem Anblick, direkt nach verlassen des Lifts, war mein erster Gedanke:
„Irgendetwas stimmt mit Hasi nicht!“