Ich möchte zur Isestraße, dort soll heute Flohmarkt sein. Ich schlüpfe in meine Barfußschuhe, male mir den Mund purpurrot, wickle das weiche Lieblingstuch um den Hals und gehe los. In der Osterstraße wird mir bewusst, dass verkaufsoffener Sonntag ist. Reichlich Familien sind unterwegs und „Bodenmoment“ weiterlesen
Moosmoment
45 Minuten Autofahrt. Mir war so dringend nach Wald, tiefem Wald. Natürlich sind die Wege sonntagsbelebt. Kinder springen neben Hunden, Trekkingradler zischen wie Neongeister durchs Gehölz,während Wandergruppen die Ruhe zerplappern, die sie auf ihrem Fußmarsch suchen.
Ich war noch nie hier. Vielleicht werde ich mich verlaufen. Ein ums andere Mal biege ich auf den nächst schmaleren Weg ab, schließlich gehe ich direkt quer ins Gehölz.
Es wird friedlich. Ich hab Barfußschuhe an und ertaste den Boden. Weiche Mooskissen. Feine Steinchen. Reisig überall und trockenes Laub. Die Luft ist noch spätsommerwarm, doch der Herbst ist nicht nur im Fluggeschnatter der Graugänse zugegen, die immer wieder in Formationen, die ich jenseits der Baumkronen nur ahnen kann, über mich hinweg ziehen.
Licht und Schatten bieten ihr unnachahmliches Spiel. Dort, wo die Sonne sich bis zum Boden durchblinzeln kann, setzt sie immer etwas beachtenswertes in Szene, so kommt es mir vor. Baumstümpfe, die wie leergespielte, kleine Waldbühnen nach dem Schlussapplaus wirken. Flirrendes Tümpelwasser auf dessen rostroten Flecken Insekten kleine Kreise auf die Wasseroberfläche surren. Pilzköpfchen mogeln sich ins warme Licht, alles ist silbrig vernetzt mit hauchzarten Spinnfäden. Wie Tätowierungen ruhen Blätterschatten auf den Baumrinden. An manchen perlt Baumharz in glitzernden Sternchen herab.Jetzt ist es wirklich still. Kein Vogel. Dort, wo sich der Wald an kleine, wiesige Felder schmiegt, sind manchmal Feldgrillen zu hören. Winzige, braune Frösche fliehen vor meinen Schritten. Ein großer hält inne und sieht mich kurz an. Dann hüpft er nach links davon. Ich nach rechts. Obwohl nichts blüht, ist alles voll Farben und Formen. Pechschwarze Nacktschnecken kriechen durch die Schluchten des Wurzelwerks umgekippter Bäume. Manchmal höre ich einen Bachlauf.
Es werden dreieinhalb Stunden vergehen.
Als ich die breiten Wege wieder erreiche, steht die Sonne schon tief. Ich schau noch einmal zurück auf die Moosteppiche, die das langsame Verrotten der Baumstümpfe mit ihrem grünen Alles-Ist-Gut überwachsen haben. Ein Wald ist ein Kosmos, keine Kulisse.