Der Mann, der mir aus der Tür der Änderungsschneiderei entgegentritt, hat das Gesicht eines Fischs, der zu fest gegen das Aquariumsglas gedrückt wurde. Die fleischige Unterlippe gibt müde hängende, blasse, dennoch glänzende Innenseitenschleimhaut frei, hinter der eine hölzerne Zahnreihe wie ein verwitterter Zaun das Herausstürzen der Zunge verhindert.
Um die linke Hand des Mannes sind mehrfach die Schlaufen des Baumwolleinkaufsbeutels geschlungen, dessen verwaschener Aufdruck im Faltenwurf „Aomkft ne anke“ lautet.
Der Mann tritt zur Seite, um mir einen zügigen Zutritt zu ermöglichen, an der Schwelle kommen wir uns trotzdem nah, ich rieche mehrtägigen Knoblauchgenuss und kellergelagerte Jeansjacke.
Im Laden ist es dunkel, statt der Lampen brennt nur eine Kerze auf der Schaufensterbank. Weihnachtlich, denke ich, dabei ist es jetzt um 11:16 Uhr bereits 24° C warm.
Die Schneiderin trägt über der weißen Bluse mit Rundkragen ein trotz des Alters und der Flecken makelloses Antlitz, das sie ihrem Lächeln und dem roten Lippenstift verdankt. Die Mahagoniaugen lassen eine leise Stimme erwarten, und so ist es.
„Was kann ich tun?“, fragt sie, wobei es durch das fehlende und mir üblich erscheinende „für Sie“ eher wie eine philosophische, denn wie eine Dienstleistungsfrage klingt.
Ich hole ein Kleid aus der Umhängetasche, breite es am unteren Saum auf dem Tisch zwischen uns aus, und versuche mit ähnlich dezenter Lautstärke „Das muss gekürzt werden“ zu antworten. Es gelingt nicht. Vielleicht liegt es an der fehlenden Ladenbeleuchtung, dass meine Worte scheppern wie leere zur Seite getretene Dosen, und als könne sie zumindest teilweise Gedanken lesen oder erahnen, sagt die Schneiderin: „Die Scheinwerfer machen den Raum sehr schnell warm, im Sommer lasse ich sie deshalb aus.“
Dann betrachtet sie mein Kleid: „Wie viel kürzer?“
Mit Daumen und Zeigefinger forme ich ein Maß von vielleicht 10 Zentimetern, lege den Kopf leicht seitlich, als helfe das bei einer exakteren Einschätzung.
„So viel? Wollen Sie es nicht lieber anziehen und wir schauen?“
Ich schüttle den inzwischen wieder gerade sitzenden Kopf.