Um ein Haar wäre „Schnittbrotvielfalt“ das letzte Wort gewesen, das ich in diesem Leben im Kopf gehabt hätte. Da gäbe es bessere. Schönere. Es ist ein wenig gemein, dass man vielleicht zu den wenigen gehört, die sich um die wort- und lautmalerische Gestaltung des eigenen Seins bemühen, am Ende aber dennoch mit Hinweisunsäglichkeiten wie „Kein Hundeklo“, „Foliensträhnchen-Dienstag“ oder „Markendiscount“ aus dem Leben gekickt wird.
Nicht einmal bei bester Planung kann man, sofern der Tod dem natürlichen Prozess überlassen bleiben soll, bestimmen, was die letzte Wahrnehmung ist. Welches Geräusch? Welcher Anblick? Welches Wort? Welches Gefühl? Welche Zeit? Welcher Geruch? Irgendwann muss ich aufschreiben, dass ich gerne den Duft von frisch gemahlenem Kaffee und/oder ofenwarmen Brot um mich hätte.
„Schnittbrotvielfalt“ steht auf dem Aufsteller des Eckbäckers an der kleinen Seitenstraße, die ich überqueren will. Meine Augen streifen die Buchstaben und ich spreche das Wort innerlich mit, so als schriebe ich es just in diesem Moment selbst auf die Tafel. Die Körpertherapeutin hat ganze Arbeit geleistet: Ich bin nicht nur entspannt, sondern komplett vom Hetz- in den Achtsamkeitsmodus geschaltet. Nehme die Füße in den wippenden Turnschuhsohlen wahr, fühle die Länge meiner Schritte und merke sofort, wenn sich meine Schultern wind- und regenbedingt angespannt zu den Ohren empor ziehen wollen. Ich registriere, ob meine Zunge gegen den Gaumen drückt, meine Zornesfalte den Jänner-Böen trotzt und die Kiefermuskeln in Zubeißlaune sind. Selbst das Kribbeln in den zu kalt gewordenen Fingerspitzen entgeht mir nicht, und dass ich immer dann aufhöre zu atmen, wenn ich zu dicht hinter mir Absatzklacken höre.
Ein DHL-Transporter versperrt den Übergang zur anderen Straßenseite. Ich fühle meine geschmeidige und nahezu vollautomatische, sanfte Ausweichwendung, in der sich das pure Vergnügen meiner Hüften ausdrückt, weil sie in eine Drehung gehen dürfen. Was ich nicht wahrnehme, ist der in die Seitenstraße abbiegende Kleinwagen, der natürlich abbremsen muss, als ich plötzlich hinter dem DHL-Fahrzeug auf die Straße trete. Es ist nicht brenzlig, dafür war der Fahrer zu umsichtig unterwegs. Verärgert blickt er dennoch drein. Mich durchzucken Schreck und Erkenntnis.
Dass wahre Achtsamkeit jetzt schlicht und ergreifend Aufmerksamkeit gewesen wäre. Dass „im Hier und Jetzt sein“ meinen Blick besser beim Verkehrsgeschehen als zwischen meinen Rippenwirbeln belassen hätte.
Der Kleinwagenmann lächelt nun und zeigt mir mit einer freundlichen Handbewegung, dass ich die Straße gerne wieder verlassen darf, auf der ich immer noch stehe. Ich gehe aufmerksam nach Hause, hocherfreut, dass mein letztes Wort eines Tages „Forellenquintett“, „Liebkosung“ oder „Prinzregententorte“ sein könnte.
Nicht, weil ich die mag. Einfach des Klangs wegen.