Eine langgezogene Mauer. Altes und frisches Moos auf den grobkörnigen, grauen Steinen. Die Bäume dahinter verraten es: ein Friedhof. Ich bremse und fahre rechts ran. Ein großes Tor und zwei kleine, schmiedeeiserne Türen. Ein Schildchen daran: „Das Füttern von Katzen auf dem Friedhof ist nicht erlaubt. – Die Friedhofsverwaltung“
Ich werde sehr gepflegten Gräbern begegnen, das weiß ich jetzt. In der ersten Reihe rechts sehe ich vier frische Grabhügel. Vier! Nackte Erde bar jeden Blumenschmucks. Kleine, grüne, in den Boden gesteckte Täfelchen weisen aus, wer hier liegt.
Es ist noch warm, obwohl die Sonne schon hinter den Hügeln verschwunden ist. Dem Vogelgezwitscher fehlt die Aufregung des Morgens, aber nicht die Melodie. Ein Holzpfeil zeigt die Richtung zur „Friedwiese“. Ich folge. Nach wenigen Schritten eine grüne Fläche, mit bunten Blumenpunkten. Kleine, weiße, dicke Engel überall. Mittendrin eine Bank. Ich nehme Platz.
Aus den Nadelbäumen plumpsen Tannenzapfen auf den weichen Boden. Nirgends bellt ein Hund, fährt ein Auto, schleicht eine Katze. Ich fühle erst jetzt, wie warm das Holz noch vom Tag ist. Eine halbe Stunde vergeht. Vielleicht etwas mehr.
Wie entscheidet ein Vogel, welcher Ton am Abend sein letzter ist?
Ich stehe auf und gehe weiter. Komme bei Renate vorbei, die jetzt hier wohnt. Karl ist unvergessen, Jutta geliebt, Karin ruht in Gott, Hilde in Frieden und Johannes fehlt uns. Mein Opa sagte immer „So schnell stirbt es sich nicht.“ Dabei ist Leben so filigran.
Ich höre das Quietschen der Friedhofstür. Sie fällt ins Schloss.
Hinter einem Heckenbogen Reihen mit kleinen Urnengräbern. Neben einigen Holzkreuzen liegen verblasste Plastikrosen. Jemand hat „Mach’s gut“ auf einen Stein geschrieben.
Kaum mehr ein Zwitschern übrig. Noch kann ich das Licht Dämmerung nennen. In einem großen Bogen geh ich zurück zum Ausgang. Die kleinen Türen und das Tor sind jetzt fest verschlossen. Abgesperrt.
Das auch noch.
Wahrscheinlich bleib ich beim Klettern mit dem Kleid irgendwo hängen und falle dann wie ein zerrupfter Jutebeutel vornüber auf den Asphalt. Aber alles geht gut. Warum schließt man abends den Friedhof ab? Während ich Moos vom Kleid klopfe taucht eine rot-getigerte Katze auf und betritt geschmeidig, durch die Stäbe des großen Tors, den Friedhof.
Ich muss lächeln und denke „Mahlzeit“. Kein einziger Vogel singt noch.
<3