Zum ersten Mal nehme ich wahr, wieviel graue Haare Henk schon hat. Von den Schläfen, klassisch, zieht sich eine erst intensive, dann feiner verlaufende Maserung bis auf den Oberkopf. Er hätte Locken, trüge er das Haar länger. Er mag sie nicht die Locken. Ich schon.
„Nee, tut mir leid. Ich dachte er wäre kleiner, aber das ist wohl eine ähnliche Größe wie deiner.“
Henk hat den Koffer vom Schrank gezogen. Bei mir würde sicher etwas Staub auf uns rieseln, bei Henk riecht selbst der Koffer auf dem Schrank nach frischen Apfelblüten. Anthrazitfarbene Apfelblüten.
„Macht ja nix. Danke, dass du geguckt hast. Für 14 Tage ist der Trolley halt zu klein, aber mein Afrikakoffer auch zu groß.“
„Afrikakoffer. Klingt schön. Einen Afrikakoffer haben.“
„In dem ich Säcke mit kleinsten Erdnüssen und Riesenavocados transportiert habe. Die Erdreste sind bis heute nicht ganz rausgewischt, fürchte ich.“
„Afrikakoffer müssen Erdreste haben.“
„Alles in meinem Leben hat Erdreste.“
Henk lacht lautlos, wobei sich sein Kopf einem Impuls folgend kurz zwischen den Schultern einzieht wie bei einer Schildkröte. Einer vergnügten Schildkröte.
„Und bald kommt noch mehr Erde dazu. Aber erstmal ist ja Wien. Was machst du diesmal?“
„Ich hab keinen Plan. Kennst mich doch. Ich bin einfach da und der Rest ergibt sich.“
„Arbeit dabei?“
„Wollte eigentlich ohne, ist aber anders gekommen.“
Wir sind wieder in der Küche. Das gelbe Licht macht Henks Haar noch dichter und alles Grau unsichtbar. Auf dem Tisch warten Tomaten in einer Schüssel auf ihren Verzehr, Post liegt ungeöffnet neben dem Glas neben dem Stift neben der Tasse Heißwasser, die Henk mir jetzt hinstellt.
„Mit Tee?“
„Ohne.“
„Konzert?“
„Möglich.“
„Aber sicher Theater.“
„Möglich.“
„Wetter?“
„Henk!“
Ich greife spontan nach einer winzigen Kugel aus Silberpapier, die zwischen Stift und Glas liegt und werfe. Sie trifft Henks Scheitelpunkt und perlt am Seitenhaupt zu Boden.
Selbst Tomate sein ist gut an diesem Ort und die Orte, an denen es gut, nein, an denen alles gut ist, egal was ist, sind rar geworden, denke ich. Dass das Quatsch ist, denke ich nur einen halben Atemzug später. Weil mir einige Orte einfallen, an denen alles gut war. Was nie Verdienst der Orte war. Wessen dann? Meiner? Nein. Neinnein. Wien ist ein Ort, an dem alles gut war.
„Weißt du, ich frage mich, was ist, wenn diesmal nicht alles….“
Ich stoppe. Nicht aussprechen.
„…nicht alles was?“
„…nicht alles….wenn ich….“
Henk greift mir ins Haar wie man in wucherndes Unkraut greift.
„Das Kurze hab ich noch nicht drauf bei dir. Und so orange.“
„Liegt am Licht hier.“
„Wahrscheinlich. Was soll schief gehen? Du reist mit Erdresten.“
Stille.
Stille mit Henk ist ein Ort an dem alles gut ist, denke ich.
Ich hebe das Silberpapierknäuel auf und lege es zurück ans Glas. Sieht aus wie das Wickelpapier um eine Minischokoladenweihnachtskugel.
„Ich muss weiter.“
„Ja“ sagt Henk.