Henkmoment

Henk hat sein Telefon am Ohr, als er die Tür öffnet. Er hat sich längst abgewöhnt überrascht zu sein, wenn er mich sieht. Ich trete wortlos ein und gehe an ihm vorbei, durch den schmalen Korridor direkt in die Küche. Bei Henk ist es aufgeräumt, selbst wenn es unaufgeräumt ist. Ein benutzter Spüllappen ruht mit Finesse über dem Wasserhahn, als sei er dort liebevoll drapiert worden. Ein Teller mit Tomatensaucenrest neben dem Ceranfeld. Der Löffel darin glänzt, ist ohne Speisereste und spiegelt das maisgelbe Licht der kleinen Küchenlampe. Nudelsieb und Nudeltopf eng aneinandergeschmiegt. Selbst die Krümel des offensichtlich frisch geriebenen Parmesans, wirken wie sorgfältig unter die auf dem Holzbrett liegende Reibe gestreut.
„Das könnte man aber auch donnerstags machen.“ Henk macht eine tiefe Stirnfalte und spricht betont hölzern in den Hörer. Ich kann ein wenig von der Stimme am anderen Ende hören. Mickeymausig gurgelt sie Sätze hinaus. Henk nimmt ein Handtuch und zwei Ausgaben der ZEIT von der schmalen Sitzbank hinter dem Küchentisch und weist mir damit meinen Sitzplatz zu. Mit nickendem Kopf und wiederholtem „Hm. Hm. Hm.“ befüllt er einhändig den Wasserkocher. Es brodelt schnell.
„Ja. Hm. Ja. Wirklich, das wäre donnerstags dann sicher besser.“
Er stellt eine XL-Tasse vor mich mit heißem, dampfendem Wasser; greift in die kleine Tonschale neben dem Herd, fischt ein Stück Ingwerwurzel heraus und legt es mir greifnah hin. Brettchen und Messer folgen. Bei Henk ist es immer angenehm warm. Hier wird man nie klamm. Säße die Kälte nur nicht so tief heute. Ich schnipple mir Ingwer ins Wasser. Henk sagt „Ok. Tschüss.“ und legt auf. Das Telefon wirft er mit leichter Handbewegung hinaus in den Flur. Es landet passgenau im Korb mit den gesammelten Zeitungen. Dann dreht er sich zurück, hält mir eine zwischenzeitlich gegriffene Tasse hin und reagiert auf mein Einfüllen von Ingwerscheibchen mit einem kaum merklichen Lächeln. Noch einmal brodelt der Wasserkocher kurz auf.
„Honig?“
Ich schüttle den Kopf. Der Saft des Ingwers ist klebrig an meinen Fingerspitzen getrocknet. Jetzt nicht die Augen reiben. Aus der Wohnung ein Stockwerk höher tönt dumpf die Tagesschaumelodie.
Das Telefon klingelt. Henk steht auf.
„Ja? … Hi …“
Mein Ingwertee ist ausgetrunken. Für die Speiseröhre zu heiß. Der Magen fühlt sich an wie eine nachglühende Herdplatte. Das ist schön. Henk kommt nicht zu Wort, nickt aber viel. Ich stehe auf und gehe ins Bad. Dass es hier eine Wanne hat, ist mir nie aufgefallen. „Donnerstags wäre besser.“ höre ich Henk sagen, doch diesmal ohne Mickeymausentgegnung. Ich stehe vor der Wanne wie ein Kind vorm Weihnachtsbaum. Henks Stimme sagt wieder „Hm. Ja.“ und kommt näher. Durch die immer noch offene Tür reicht er mir ein dickes, mintgrünes Frotteebadetuch, dann schließt es sie beim Hinausgehen. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und lasse mir Wasser ein. Zu heiß für die Haut. Ich muss die Luft anhalten, als ich den ersten Fuß langsam in Wanne gleiten lasse. Kernschmelze.
Durch Schaumtürme höre ich Henks Spülklappern in der Küche. Nach einer Weile hört das Wasser auf zu glühen. Der Mintfrottee ist kuschelweich. Henk hat sogar einen Fön. Obwohl – wahrscheinlich benutzt den nur Jan. Nachdem die Haare trocken sind lenke ich die heiße Luft über meine Zehenspitzen. Füßefönen ist auch eine Art Ingwertee.
Ich verlasse das Bad. Henk bringt mir Mantel und Schal aus der Küche.
„ Oder noch ein Tee?“
Ich schüttle den Kopf und packe mich winterwarm ein. Nur Henk kann ich ohne ein einziges Wort besuchen.
„Kennst die Wanne ja jetzt.“ Er gibt mir meine Tasche. „Ist eigentlich immer frei.“
Ich drück ihn kurz und tripple die Stufen hinab. Die Wohnungstür schließt sich. Geht noch einmal auf und er ruft hinunter: „Nur nicht donnerstags!“

9 Antworten auf „Henkmoment“

  1. Diese Geschichte ist wie der Ingwertee von Henk, wohltuend bis in die Fingerspitzen! Wie schön, wenn man Menschen hat, mit denen schweigen geht. Jede*r sollte Henk-Momente geniessen dürfen!

  2. Das ist wundervoll geschrieben, als wäre man dort, als würde man selbst bei Henk einen Ingwertee trinken und anschließend ein wohliges Bad genießen. Ich kann mir alles genau vorstellen, selbst Henk, obwohl du ihn mit keiner Silbe beschrieben hast. Du schreibst so bildhaft, dass die Bilder vor meinem geistigen Auge von selbst entstehen.

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