Henkmoment mit Topf

Henk schweigt. Ich habe die Tür nicht ins Schloss fallen lassen, sondern mit leisem Klinkendruck geschlossen. Er nimmt mir den Mantel ab, hängt ihn sorgfältig auf einem Kleiderbügel an den Haken ganz links, während ich mit dem Reißverschluss meines Halbstiefels kämpfe. Die Socken sind garnarm an den Zehenspitzen geworden. Bevor Henk gucken kann, ziehe ich die unschönen Sockenspitzen nach vorn, so weit auf die Fußunterseite wie es nur geht. Beim ersten Schritt rutscht die Socke in ihre Ausgangslage zurück, nur das ruckartige Zusammenkneifen der Zehen könnte es verhindern, sähe beim Gehen aber dämlich aus.

Henk ist bereits in der Küche. Setzt Wasser auf, schnippelt Ingwer. „Mit?“ Es ist keine Frage. Längst ist der Ingwer im dicken Glas. Kurze Zeit später gießt Henk auf, stellt mir Honig dazu. „Ist gut im Winter“, sagt er. Ich schaue auf die Tomaten im Obstkorb.

Auf dem Herd beginnt der Deckel eines Topfs zu vibrieren. Henk dreht sich um, dreht den Herdschalter von sechs auf drei zurück und beginnt dann Petersilie zu hacken. Es riecht nach Sellerie. Nach Lauch und Kreuzkümmel. Die Scheiben sind ein wenig beschlagen und das Blubbern aus dem Topf blubbert in meine Zellzwischenräume. Ich sitze gern in Küchen, in denen gekocht wird. Lasse mich beklappern, atme die Gerüche, bestaune den Wandel der Zutaten und die Freude derer, die da schnippeln, rühren, streuen, reduzieren, testpieksen, abschmecken und anrichten.

„Eintopf“, sagt Henk jetzt, so wie andere „Das ist Ingeborg, meine Frau“ sagen, und dabei wetzt sein Messer zum x-ten Mal durch die Petersilie. Sie ist so fein wie Neujahrsschnee. Henks Fingerspitzen greifen eine Kleinstmenge, lassen sie zurück aufs Küchenbrett rieseln. Er wischt das Messer ab, er wischt die Fingerspitzen ab, er stellt mir einen Teller neben das Ingwerteeglas, legt eine Tomate darauf, legt ein kleines Messer dazu. Holt Salz und Pfeffer und Öl.

Der Topf blubbert. „Brot?“ fragen Henks Hände, im Begriff nach einem Stück Roggenbaguette zu greifen. Ich schüttle den Kopf und danach das Salz auf die nunmehr in Viertel geschnittene Tomate.

Auf dem Metall der Abzugshaube haften drei Magnetbilder. Eins aus Paris mit Notre Dame, eins auf dem „Shit happens“ steht und ein Smiley. „Sind von Jan“, sagt Henk, der meinem Blick gefolgt ist und sich nun neben mich auf die Bank setzt, nachdem er den Herd ausgedreht hat.

Minutenlang schauen wir dem Topf zu, wie er ruhiger und ruhiger wird, bis sich kaum noch Dampf zwischen Topfrand und Deckel ins Freie mogelt. Ich rieche Möhre, ich rieche Zimt, ich rieche Petersilienschnee. Und einen Hauch von Henks Eau de Toilette.

„Bleibst du zum Essen?“ Ich nicke. Henk steht auf und öffnet den Topfdeckel, in Sekunden füllt sich der Raum mit dem satten Duft von Wurzelgemüse und Fenchelsamen. Ich lehne mich zurück bis mein Kopf die Wand berührt.

„Er muss noch etwas ruhen“, sagt Henk, rührt einmal um und legt den Deckel wieder auf.

Ich auch, sage ich nicht, während Henk heißes Wasser in mein Glas nachfüllt und „Du auch“ sagt.

12 Antworten auf „Henkmoment mit Topf“

  1. Schön und berührend geschrieben wie immer.
    Bleib gesund, dass du noch viele solche Momente in Worte fassen kannst, in 2025!

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