Gründonnerstagabend

Die halbierte Tomate auf meinem Feldsalat leuchtet mit ihrer Rundung aus der Mitte des Tellers.
„Selbst mein Salat hat eine rote Nase!“ huscht es mir durch den Sinn.

Über mir übt der Opernsänger. Ich sehe ihn immer im Bademantel vor mir. Einem weißen, schneeweißen Bademantel aus dickem Frottee, auf dem gülden und fein „Waldorf Astoria“ steht. Zwei passende Gästetücher hängen im Gästeklo. Tatsächlich hat der Bademantel eine Brusttasche, aus der leicht angeknüllt ein blaukariertes Stofftaschentuch guckt. Heute singt er treppauftreppab „Hahaaaaahaaaaaahaaaaaahaaaaahaaaaa“. Seine Wohnung hat Dielenboden wie die meine, aber fast alles ist ausgelegt mit dünnen Teppichen aus Chinaseide. Nur da, wo er übt liegt ein Flokati, in den er seine behaarten Zehen krallen kann, wenn er von einer Oktave in die nächste springt. Donnerstagabends ist seine Muse da, fläzt im Sessel und blättert in Harper‘s Bazaar. Das ist sophisticated. Niemand liest wirklich in Haper‘s Bazaar. Aber eine Muse kann nicht Brigitte lesen oder Donna. Nicht mal die ELLE. Leider hat sie eine Schwäche für einen billigen Wein aus dem REWE City gleich um die Ecke. Manchmal stört ihn das.
Wenn er die Tonleiter schneller singt, verrutscht der Gürtel am Bademantel. Er schenkt dem keine Beachtung. Aber ich sehe bis in meine Küche den verstohlenen Blick der Muse und dieses leichte Kräuseln auf ihrem Nasenrücken. Ob er jemals wirklich im Waldorf Astoria war? Nachdenklich stelle ich meinen Teller beiseite. Über mir wird es still. Ich habe die Nase nicht aufgegessen.

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