„Wir waren lang nicht im Kino.“
„Wir waren lang nicht vieles.“
„Ja. Wenn es danach ginge …“
„Welchen Film magst du denn sehen, Henk?“
„Ich weiß es gar nicht. Ich weiß nicht, was aktuell läuft.“
„Ich auch nicht.“
„Sollen wir blind gehen? Wir könnten uns einfach an einem Samstag in die Kassenschlange stellen…“
„…und mit gesenkten Häuptern dem Kassenmensch zuraunen, dass wir…“
„…zwei Tickets ohne Rückfahrschein….“
„…ohne Rückfahrschein…?“
„…ja, ohne, für den nächst losgehenden Film möchten.“
„Und dann landen wir in irgend so einem 3D-Animationsgedöns.“
„Oder in einer Liebesschnulze.“
„Eine Liebesschnulze kann ganz nett sein.“
„Wenn es nicht eine Highschool-Komödienschnulze ist.“
„Sowas gibt es noch?“
„Diese Frage stellen Highschool-Komödienschnulzen auch in Bezug auf Menschen unseres Alters.“
„Ich möchte lieber ins Theater.“
„Drama?“
„Nee. Kiez.“
„St.Pauli oder Schmidts Tivoli?“
„Weiß ja nicht, was läuft, Henk.“
„Jedenfalls Komödie auf roten Samtsitzen, eng, überwärmt und mit Bauchmuskelkater.“
„Genau das.“
Henks Augen verlieren sich jenseits der Fensterverglasung des Cafés.
„Wann hört es nur auf zu regnen?“
„Wenn man die Augen schließt, klingt Regen wie Applaus.“
„Wenn man die Augen schließt, klingt Regen wie Fingertrommeln.“
„Willst du wirklich ins Kino?“
„Wir könnten die Augen schließen.“
„Und dann?“
„Hört es vielleicht auf zu regnen.“
Schnittbrotvielfaltmoment
Um ein Haar wäre „Schnittbrotvielfalt“ das letzte Wort gewesen, das ich in diesem Leben im Kopf gehabt hätte. Da gäbe es bessere. Schönere. Es ist ein wenig gemein, dass man vielleicht zu den wenigen gehört, die sich um die wort- und lautmalerische Gestaltung des eigenen Seins bemühen, am Ende aber dennoch mit Hinweisunsäglichkeiten wie „Kein Hundeklo“, „Foliensträhnchen-Dienstag“ oder „Markendiscount“ aus dem Leben gekickt wird.
Nicht einmal bei bester Planung kann man, sofern der Tod dem natürlichen Prozess überlassen bleiben soll, bestimmen, was die letzte Wahrnehmung ist. Welches Geräusch? Welcher Anblick? Welches Wort? Welches Gefühl? Welche Zeit? Welcher Geruch? Irgendwann muss ich aufschreiben, dass ich gerne den Duft von frisch gemahlenem Kaffee und/oder ofenwarmen Brot um mich hätte.
„Schnittbrotvielfalt“ steht auf dem Aufsteller des Eckbäckers an der kleinen Seitenstraße, die ich überqueren will. Meine Augen streifen die Buchstaben und ich spreche das Wort innerlich mit, so als schriebe ich es just in diesem Moment selbst auf die Tafel. Die Körpertherapeutin hat ganze Arbeit geleistet: Ich bin nicht nur entspannt, sondern komplett vom Hetz- in den Achtsamkeitsmodus geschaltet. Nehme die Füße in den wippenden Turnschuhsohlen wahr, fühle die Länge meiner Schritte und merke sofort, „Schnittbrotvielfaltmoment“ weiterlesen
Pelzmoment
Im ICE. Vielleicht Anfang zwanzig ist sie. Schwarze Jeans mit obligatorischem Aufriss am Knie, Smartphone mit Kopfhörerkabeln und auf dem Kopf das Haar zum Vogelnest geschlungen. Lediglich das Dazwischen lässt streifende Blicke kurz stocken. Der Pelzmantel. Einer, wie er in der Generation meiner Großmutter häufig getragen wurde. Mein erster Gedanke ist, wie schwer er wohl sein mag. Bei meinem Studentenjob an der Theatergarderobe anno dazumal, gab es im Winter viel Pelz zu wuchten. „Hochwertige Pelzmäntel erkennst du am Gewicht“ hatte meine Oma mich instruiert. „A g‘scheider, guader Pelz wiagt nix!“ Es gab wenig g’scheide, schien mir.
Der hier sieht ebenfalls nicht g‘scheid aus, denke ich, obwohl es keinen objektiven Anlass für diese Gewichtsbewertung gibt. Ich mag die Art des Pelzes nicht. Pelz. Nach der kurzen Overtüre bricht ein symptomatischer Gedankensturm in meinem Kopf los:
Dass diese Form von Pelzmantel in meiner Jugend ein No Go war. Dass wir schon geglaubt hatten, die Pelzindustrie sei tot, bis sie sich qualvoll wieder eingeschlichen hat mit Jackenkragen und Bommeln. Wie Menschen nur annehmen können, diese Fellkrägen seien Kunstpelz. Wo wirklich kaum etwas so echt aussieht, wie Echtpelz. Dass Menschen das so ausblenden können. Blut und Tierschreie. Und ob es da „in Ordnung“ sein kann, einen Vollpelzmantel zu tragen, auch wenn er offensichtlich ein Erb- oder Secondhand-Stück ist, weil Pelz nun einmal ein Statement ist. Für Dekadenz und Gedankenlosigkeit. Wie ich so etwas Wertendes und in der Tat idiotisches denken könne. Und warum eigentlich alles heutzutage ein Statement sein muss. Vielleicht ist das ja bloß ihre Reminiszenz an Omi. Oder Uromi. Oder den Klimawandel. Weil der alte Pelzmantel sicher eine bessere Ökobilanz hat, als der Plastikanorak der jungen Dame vor mir, mit ihrem 350-€-Beats-By-Dre-Kopfhörer. Warum ich so viel Verachtung für diesen Kopfhörer empfinde, plötzlich. Und ob meine eigenen besser sind. Wohl kaum. Ätz-Urteile von mir. Sind meine Lederschuhe mit weniger Schreien und Blut und Umweltverschmutzung besudelt? Alles ist ein Statement.
Wie mich das nervt. Ich mich nerve. Und dieser Pelzmantel ist ein gutes Statement, im Sinne von Nachhaltigkeit. Hält ewig bei guter Pflege. Sind die Tiere wenigstens nicht umsonst gestorben. Wie die für unsere Wegwerfwurstberge. Verdammter Kopf, nun hör doch mal auf. Sitz einfach mal ohne Meinung da. Musst keine haben. Jetzt. Zu diesem Pelzmantel. Ich bin immer verwundert, wenn Menschen hinter ihre Meinung „Meine Meinung!“ als Abschluss schreiben. Ja, was sonst? Meinungen sind wie Echtpelz: Erkennt eigentlich jeder Depp. Wenn gewollt. Müssen nicht gekennzeichnet werden. Ausnahmen bestätigen die Regel (muss man immer dazu sagen, weil sich auch das keiner mehr denken kann oder mag). Ich möchte gerne keinen missionarischen Eifer bei Pelz haben. Hab ich aber, merke ich gerade wieder. Aus ihm schreit mir unsere -meine!- Wohlstandsgesellschaftsbigotterie ungebremst entgegen. Mit Pelzkragen um verbrannte Zoo-Affen trauern. Lacht oder weint man da? Ich mag mich nicht, wenn ich so bin. Am besten setze ich mich um, denn so lange ich auf den Pelzmantel gucke, hört mein Kopf nicht auf. Wahrscheinlich blicke ich finsterer drein als Rübezahl. Wie ein alter Sauertopf, der tief in die eigene Unzulänglichkeit getunkt wird. Was ein paar Tiere auslösen können, die schon so lange tot sind. Ich denke an den Film „Der Pianist“, die Szene mit dem Mantel. Wie er fast erschossen wird, weil er diesen Nazi-Mantel trägt, als er zitternd und klamm von Hunger und Kälte gezeichnet aus seiner Deckung kommt. Und wie der Russe(?) ihn fragt, warum er diesen Mantel trägt.
„Mir ist kalt“ antwortet er. Ich habe sehr geweint im Kino damals. Der Wahnsinn dieser Welt. Unausrottbar. Ich heule. Huch. Im ICE.
Plätzchenmoment mit Mia
„Sag mal, du kochst doch eher seltsam.“
„Was soll denn heißen, ich koche seltsam?“
„Hast du nicht mal erzählt, dass du nach einem chinesischen Philosophen kochst?“
„Mia! Das ist ewig her, da hab ich eine Weile nach TCM gekocht, ja.“
„Nicht mehr?“
„Nein.“
„Zuckerfrei?“
„Jein.“
„Was heißt jein?“
„Dass ich in normales Essen keinen Zucker mache.“
„Und die Weihnachtsplätzchen?“
„Ich komm nicht dazu dieses Jahr. Schlimm genug. Ich hätt so gern Plätzchen.“
„Ich backe mit Margret am Wochenende. Aber die will zuckerfrei. Hat da so Rezepte rausgesucht.“
„Kenne zuckerfreies Gebäck. Ist lecker. Aber ich glaube, bei Weihnachten würde ich Omas Klassiker aus meinem Rezeptbuch holen.“
„Vanillekipferl…“
„Butterplätzchen….!“
„Bethmännchen….“
„Ohhh, ja, Beeeeethmännchen!“
„Ich schmuggle einfach Zucker in Margrets Küche.“
„Nächstes Jahr plane ich einen Backtag ein. Ohne Plätzchen ist doof. Richtig doof.“
„Kauf halt welche!“
„Ist nicht dasselbe, Mia. Weihnachtsplätzchen müssen auch bisserl…schief aussehen. Wie geht es Margret denn inzwischen?“
„Zuckerfrei sagt doch alles, oder?“
„Ja?“
„Ja! Ich bitte dich! Zuckerfrei. Frauen über 50, die VOR Weihnachten zuckerfrei werden. Da muss ich nichts zu sagen. Als wir neulich Essen waren, hat sie vorher noch so ein grünes Algenzeug getrunken, wegen Detox. Pfff. Detox ….machst du das auch?“
„Nein.“
„Naja, du isst morgens chinesische Suppe.“
„Ich esse keine Suppe! Ich esse lediglich gerne warm morgens.“
„Dann isst du ja doch nach diesem TCDingens.“
„Nein, einfach nach Laune, weil ich gern warm esse!“
„Ich esse Brötchen! Und Zucker!“
„Ich auch. Nur nicht unbedingt morgens.“
„Das ist mir zu kompliziert. Eigentlich müsstest du mit Margret backen. Soll ich paar Plätzchen schicken?“
„Oh jaaaa!“
„Ihr seid wie die Kinder. Zuckerfrei und chinesisch, sich aber dann die Plätzchen schicken lassen…naja. Ist ja Weihnachten! Ich hab ein gutes Herz.“
KLICK.
Mia mit Besserung
„Ich weiß, du bist nicht gut bei Stimme.“
„….“
„Brauchst auch gar nix sagen. Ich wollte nur hören, wie es dir geht.“
„Ich….“
„Nicht sprechen! Schon dich mal. Du schonst dich nie.“
„Ich ….“ „Du klingst furchtbar. Selbst wenn du nicht sprichst. Hat dich richtig erwischt, was?“
„Ich …“
„Das grassiert schlimm im Moment. Und ist hartnäckig. Pass auf, dass du auf die Füße kommst. Hast du Suppe? Mach dir Suppe! Huhn…ach, nee. Isst du ja nicht. Dann…dann…nee, geht ja auch nicht. Trink Tee!“
„Ich…“
„Meine Mutter hat früher immer so Zwiebelsäckchen gemacht. Als würde man als Kranke nicht schon genug stinken. Eigentlich ein Wunder, dass Ehen nicht an Erkältungen scheitern. Glaubst du, dass Leute noch heiraten können, wenn sie sich einmal bei Erkältungen gerochen haben?“
„Man riecht doch gar nichts bei…“
„Du klingst furchtbar! Sei still! Ich bin froh, dass ich niemanden verpflichtend riechen muss. Bloß, weil so ein Trauschein das verlangt. Schlimmer noch ist Darmgrippe. Wenn überall dieser säuerliche Geruch hängt. Grauenvoll. Ich könnte niemanden mit Darmgrippe heiraten.“
„Mia, es ist….“
„…nicht immer nur eine Frage der Liebe, meine Liebe. Das ist Romantikquatsch. Romantik endet bei Zwiebelsäckchen.“
„Also, für mich fängt sie da erst richtig an.“
„Hahaha, wenn du wüsstest, wie du klingst! Wie ein Kakadu. Bitte, ehrlich….das müssen wir nicht ausdiskutieren. Hast du Hühnersuppe? Ach nein, die hast du ja nicht. Auch so ein Geruch, der tagelang im Haus hängt. Schlaf einfach. Wer schläft, riecht auch nichts. Gute Besserung!“
„Ich….“
KLICK.