hältst du mich


hältst du mich
 
im Sand am See
im Moor
am Teich
tief im Schlamassel
tageskalt
 
in deinem Arm
am Tag danach
und im Moment davor
im trüben Licht
in meinen alten Farben
 
nicht für verrückt
vom Schweigen fern
minutenlang
und aus
bis ganz ans Ende
 
hältst du mich
 
© 2020  Strang

Abendmoment mit Henk

„Liegst du?“
„Ja.“
„Ich auch.“
„Hört man.“
„Echt?“
„Echt.“
„Woran, Henk? Also, nee, okay, natürlich an der Stimme – aber was ist anders?“
„Du klingst wie dunkle Schokolade, wenn du liegst.“
„Bitter?“
(lacht) „Aromatisch.“
„Ich klinge aromatisch?“
„Samtig. Weich. Ruhig. Fließend.“
„Du klingst nicht anders. Du klingst immer wie …aromatisch. Was willst du lesen?“
„Ich dachte an ein paar Passagen aus ÜBER DIE LIEBE von Stendhal.“
„Das hab ich irgendwo im Bücherregal!“
„Ich weiß. Und was wirst du lesen?“
„Natürlich aus OZEANISCHE GEFÜHLE.“
„Lass mich raten – die Stelle mit der Meagersuppe.“
„Ich kichere jetzt schon.“
„Und die Stelle mit dem Kampf zwischen Sandor und ihm.“
„Ist sie nicht herrlich?“
„Ist sie.“
„Liegst du im Bett?“
„Auf der Couch. Aber du bist im Bett, oder?“
„Ja.“
„Soll ich anfangen oder du?“
„Du, Henk. Obwohl…nee, wenn du anfängst…ich schlaf so schnell ein, wenn man mir vorliest.“
„Ja, und? Dann schläfst du eben und ich leg auf.“
„Als ich klein war, fand ich das am scheußlichsten. Wach werden im dunklen Zimmer, wo doch eben noch die Mutter vorgelesen hat. Wo doch eben noch ein Licht war und ein anderer Atem und dieser schützende Körper an meiner Bettkante. Wachwerden in einem stillen Nichts, als sei der ersehnte, gute Traum VOR dem Einschlafen gewesen. Alle Geister glotzen dich an. Jeder Dämon grinst hinter den Gardinen. Gibt kaum einen einsameren Moment als diesen.“
„Dann bleib ich einfach dran.“
„Was meinst du?“
„Am Telefon.“
„Und hörst mir beim Schlafen zu?“
„Und hör dir beim Schlafen zu.“
„Und wenn ich nicht wach werde?“
„Dann weiß ich, dass der ersehnte, gute Traum bei dir ist.“
 
Henk las sieben Seiten.

Wienweinbergmoment

Vielleicht aus Leder. Schon weich gegriffen, mit etwas Geschichte(n) dran. Mir steht der Sinn nach Second Hand Läden und einer kleinen Tasche. Oder einer Art Rucksack. Rucksäckchen. Ich weiß es nicht. Zunächst los von Währing, nicht die Wege der letzten Tage. Immer diese kleinen Lädchen hier. Mag ich so sehr. Das Grün kann nicht wahr sein an dieser Fassade. Das Grün ist wahr. Ich gehe weiter gleich Richtung Donaukanal. Ach, da ist wieder das Geburtshaus von Peter Alexander. Noch immer steht er bildgerahmt geklemmt zwischen Scheibe und Heizung.

Friedensbrücke. Rechts geht es gen Zentrum. Der Impuls will links. Gut, dann eben links. Schön ist das erstmal nicht, auch wenn die Stadtwerke sich kunstvoll geben. Rennradfahrer zischen an mir vorbei wie neongefärbte Muränen. Je weiter ich gehe, desto mehr Beton. Desto mehr Beton, je opulenter die Graffitis. Wer kein Geld fürs Museum hat, findet hier freie Kunst. Ich staune über Farben und Formen. Zisch und Zopp. „Wienweinbergmoment“ weiterlesen

Ich stand in Wien und weinte

Die Stadt hat nicht auf mich gewartet. Fast eine Spur übertrieben präsentiert sie ihre Abendgeschäftigkeit, den Trott, das Asphaltgrau, das Montagstreiben zum Arbeitstagende. Ich würde klopfen, wüsste ich wo; so aber stehe ich nach dem Verlassen des S-Bahnhofs nur kurz auf dem Gehweg, dann wende ich mich Richtung Fußgängerampel.

Es ist warm. Der Mantel ist zu viel, der Schal ist zu viel. Es war heiß, als ich letzten Sommer hier war. Bei Planung der jetzigen Reise hatte ich noch Sorge gehabt, es könne mir im Winter zu kalt sein. Zu frostig für lange Streifzüge, zu klirrend, zu klamm. Nun schwitz ich, „Ich stand in Wien und weinte“ weiterlesen

Silberkugelmoment mit Henk

Zum ersten Mal nehme ich wahr, wieviel graue Haare Henk schon hat. Von den Schläfen, klassisch, zieht sich eine erst intensive, dann feiner verlaufende Maserung bis auf den Oberkopf. Er hätte Locken, trüge er das Haar länger. Er mag sie nicht die Locken. Ich schon.
„Nee, tut mir leid. Ich dachte er wäre kleiner, aber das ist wohl eine ähnliche Größe wie deiner.“
Henk hat den Koffer vom Schrank gezogen. Bei mir würde sicher etwas Staub auf uns rieseln, bei Henk riecht selbst der Koffer auf dem Schrank nach frischen Apfelblüten. Anthrazitfarbene Apfelblüten.
„Macht ja nix. Danke, dass du geguckt hast. Für 14 Tage ist der Trolley halt zu klein, aber mein Afrikakoffer auch zu groß.“
„Afrikakoffer. Klingt schön. Einen Afrikakoffer haben.“
„In dem ich Säcke mit kleinsten Erdnüssen und Riesenavocados transportiert habe. Die Erdreste sind bis heute nicht ganz rausgewischt, fürchte ich.“
„Afrikakoffer müssen Erdreste haben.“
„Alles in meinem Leben hat Erdreste.“
 
Henk lacht lautlos, wobei sich sein Kopf einem Impuls folgend kurz zwischen den Schultern einzieht wie bei einer Schildkröte. Einer vergnügten Schildkröte.
 
„Und bald kommt noch mehr Erde dazu. Aber erstmal ist ja Wien. Was machst du diesmal?“
„Ich hab keinen Plan. Kennst mich doch. Ich bin einfach da und der Rest ergibt sich.“
„Arbeit dabei?“
„Wollte eigentlich ohne, ist aber anders gekommen.“
 
Wir sind wieder in der Küche. Das gelbe Licht macht Henks Haar noch dichter und alles Grau unsichtbar. Auf dem Tisch warten Tomaten in einer Schüssel auf ihren Verzehr, Post liegt ungeöffnet neben dem Glas neben dem Stift neben der Tasse Heißwasser, die Henk mir jetzt hinstellt.
„Mit Tee?“
„Ohne.“
„Konzert?“
„Möglich.“
„Aber sicher Theater.“
„Möglich.“
„Wetter?“
„Henk!“
Ich greife spontan nach einer winzigen Kugel aus Silberpapier, die zwischen Stift und Glas liegt und werfe. Sie trifft Henks Scheitelpunkt und perlt am Seitenhaupt zu Boden.
 
Selbst Tomate sein ist gut an diesem Ort und die Orte, an denen es gut, nein, an denen alles gut ist, egal was ist, sind rar geworden, denke ich. Dass das Quatsch ist, denke ich nur einen halben Atemzug später. Weil mir einige Orte einfallen, an denen alles gut war. Was nie Verdienst der Orte war. Wessen dann? Meiner? Nein. Neinnein. Wien ist ein Ort, an dem alles gut war.
„Weißt du, ich frage mich, was ist, wenn diesmal nicht alles….“
Ich stoppe. Nicht aussprechen.
„…nicht alles was?“
„…nicht alles….wenn ich….“
Henk greift mir ins Haar wie man in wucherndes Unkraut greift.
„Das Kurze hab ich noch nicht drauf bei dir. Und so orange.“
„Liegt am Licht hier.“
„Wahrscheinlich. Was soll schief gehen? Du reist mit Erdresten.“
Stille.
Stille mit Henk ist ein Ort an dem alles gut ist, denke ich.
 
Ich hebe das Silberpapierknäuel auf und lege es zurück ans Glas. Sieht aus wie das Wickelpapier um eine Minischokoladenweihnachtskugel.
„Ich muss weiter.“
„Ja“ sagt Henk.