Gefaltet

Das Rollo ist runtergefallen. Doch statt halb aufgelöst und zerknittert auf dem Boden zu kauern, liegt es ganz kerzengerade dort, artig wie ein ertappter Hund. Dass die Klebeaufhängung nicht halten würde, war klar. Sagte natürlich nicht ich, sondern mein nachbarschaftlicher Rollosachverständiger.

Jetzt liegt das Rollo auf der Heizung und wartet. Ich suche die Klemmhalter. Finde Erstaunliches. Viele Kabel, die ich nicht kenne, obwohl ich sie einmal gekannt haben muss. Ein länger vermisstes Brotmesser, das bei meinen Schraubenzieher Unterschlupf gefunden hat. Genau, ich habe einen Schraubenzieher. Und einen Hammer. Und irre viele Schrauben. Lauter Schrauben, für die man einen Kreuzschraubenzieher braucht. Den habe ich wiederum nicht. Meiner kann nur normal.

Nirgends die Klemmhalter. Ich kann mich einfach nicht erinnern, ob ich sie aufgehoben oder weggeworfen hab. Sowas wirft man doch nicht weg, sagte meine freundschaftliche Rollonichtsachverständige. Ich schon.

Bügeln ist gut gegen Unmut. Und Klemmfindungsfrust. Wenn ich Stoff glattstreiche und gewärmter Waschmittelduft zu meinen Flimmerhärchen emporsteigt, empfinde ich Ruhe. Als Kind hab ich gerne gemangelt. Meine Mutter fand das ein wenig gut und auch ein wenig anstrengend, weil meine Mangelruhe stets die Gefahr in sich barg, dass ich mir die Finger verbrenne. Ob es noch Menschen gibt, die eine Heißmangel ihr Eigen nennen?  Die Freude haben am sanften Gegenziehen und akribisch gelegten Kanten?

„Falten Sie ihr bitte nicht die Hände“ hat gestern ein Ehemann zu mir gesagt. Sie hält jetzt, aufgeschlagen, ihr Lieblingsbuch.

Woran man so denkt, am Abend.

Warnzeichen

Spürbar
durch den Zug des Rauches.
Blätter und Fahnen,
wie Zweige bewegt,
neben gestreckten Wimpeln,
tanzen Staub und Papier
auf den Straßen.
Pfeifen die Telegrafenleitungen
deiner fühlbaren Hemmung
beim Gehen hinterher.
Vor bewegten Bäumen
heben sich die Rauchhauben,
fallen die großen Äste,
brechen die Stämme,
entwurzeln sich selbst Große
ganz leicht.
Schwer verwüstet wirkt
die Welt
im senkrecht aufsteigenden Rauch
plötzlicher Windstille.

2022 strang

Wie man sieht, steckt selbst in der Windwarnskala lyrisches Potenzial. 🙂 Fotoquelle: https://www.wettergefahren.de/warnungen/windwarnskala.html

Nahmoment

Sie hat ihm dem Rücken zugewandt. Steht dicht, aber nicht angelehnt. Ihr sehr kurzes, dachsgraues Haar zeigt in sanften Wellen, dass es lockig wäre, hätte es mehr als diese zwei Zentimeter Länge. Kleine Ohren, robust und fleischig wie die ganze Frau. Ihre Brillengläser sind kaum größer als die Augen, randlos oval. Hände, die Papier mit Bastelscheren akkurat zerteilen können, die sommers in Beeren greifen, die auf Kinderköpfen Strähnen zerzausen, die mit Bleistift Listen führen. Ein Daumennagel ist verkümmert. Der Ehering ein dünner Platinstreif.

ER ist eineinhalb Köpfe größer als sie. Weißes Haar mit Scheitel. Die tiefen Zornesfalten bleiben selbst im Schlaf. Seine Hände ruhen in den Anoraktaschen, manchmal gleicht er mit den Knien die Zugbewegungen aus. Er schaut auf die Bildschirme, er schaut aus dem Fenster, er schaut auf den Obdachlosen, der uns erzählt, warum er auf der Straße lebt. Er gibt ihm keinen Euro. Diesmal nicht. Er legt seiner Frau die Hand auf den Arm. Sie zieht eine Münze aus der Tasche, aber da ist der Obdachlose schon weg.

Ich stehe gegenüber und betrachte das gewachsene Beieinander. So zu stehen, denk ich. Eins aus zwei Körpern ungekuschelt nah. Die Liebe im Nacken. Die Türen gehen auf, ich steige aus. Zwei Stationen zu früh. In mein Nichts.

Herbst ist

Herbst ist
 
ein ausgesprochnes Seufzen.
 Das Kupfer klettert in die Kronen,
 an beigen Wegen welkt der Mohn.
 Und als hätten wir Zeit,
 verlangsamen wir
 den Fluss der Fragen,
 schieben raschelnd die Füße
 durch die lautlos gefallenen Sätze.
 Bunt und bang bleibt das Herz,
 sonst nichts.

(c)2021

Bleib doch bei mir bis 3 nach 10

(M)ein Lied und seine Geschichte.

Angefangen hat alles mit einem Missverständnis. Ich wurde gefragt, ob ich zu einer Melodie einen Liedtext schreiben könnte. Völliges Neuland für mich, aber ich wagte den Versuch. Um dann herauszufinden, dass ein Text in englischer Sprache gewünscht gewesen war. Hoppala. So blieb einerseits mein Text zurück und anderswo eine Melodie (die hoffentlich inzwischen english betextet wurde ? )

Und dann kam natürlich (natürlich? Natürlich!) Kornelius Wilkens ins Spiel; er ersann Töne und Klänge – und plötzlich war da (s)ein Lied. „Frühe“ unser Titel.

Hier der Text im Original:

Nebel schläft vor meinen Fenstern 
Nur der Kaffee blinzelt keck 
selbst dem Dunkel fehlt dein Atmen 
Meine Hand weiß: du bist weg.

Kinoküsse , Szenenwechsel. 
Du siehst nie ein Ende an. 
Dein Gesicht scheut meinen Morgen. 
Tage-, manchmal wochenlang.

Wann vergisst du deine Schuhe? 
Wann verweilst du aus Versehn? 
Alles was ich sagen wollte: 
Bleib doch noch bis drei nach zehn.

Schwarz mit Zucker. Deine Tasse 
wartet tonlos im Regal. 
Jede Wimper auf den Kissen 
ist Beweis: du warst real.

Nirgends Schwüre. Dafür Strümpfe. 
Manchmal übersiehst du dich. 
Lässt statt Worten Glanz im Zimmer, 
wie einen Gedankenstrich.

Wann vergisst du deine Schuhe? 
Wann verweilst du aus Versehn? 
Alles, was ich sagen wollte: 
Bleib doch noch bis drei nach zehn.
Wann vergisst du deine Schuhe? 
Wann verweilst du aus Versehn? 
Alles was ich sagen wollte: 
Bleib doch noch bis drei nach zehn.

„Frühe“ ©2019 


Und es purzelte eher zufällig in die Ohren eines anderen Freundes, des Wiener Musikers Reinhard Malicek, der wunderbare Lieder im Wiener Dialekt schreibt und singt. Der mich fragte, ob er es ins Wienerische holen darf. Er durfte. Und nun ist da (m)ein Lied. Danke an ihn und Martin Rauhofer für die schöne, schöne Umsetzung.

Hier ist es. Viel Freude beim Hören und hinterlasst gern ein LIKE unterm Song, wenn er euch gefällt.

https://www.youtube.com/watch?v=wAJcjAxEkPs

Deutsche Ursprungsversion:

Musik von Kornelius Wilkens, Berlin

Text von Bettina Strang, Hamburg

Cover im Wiener Dialekt:

Reinhard Malicek und Martin Rauhofer, Wien