Ab heute: WORTSTRANG

Liebe Menschen im Anderswo,

das Wort und ich sind untrennbar. Nun auch im Blognamen. Die MASKENPAUSE verabschiedet sich und heißt ab heute WORTSTRANG. Der Rest bleibt wie gehabt. Es wird spaziert, gestaunt, geschrieben. Ohne Ole. Vielleicht mit Henk. Immer mit mir.

Einen wunderbaren Sonntagabend für Euch!

Bettina

Wachsen lassen

Ich habe einen Eimer mit
Gefühl ums Haus getragen,
und an der Tanne, gleich beim Zaun,
verbuddelt und vergraben.

Erst grünte Ohnmacht, schließlich Wut.
Seit gestern wachsen Sorgen
wie Bodendecker, unter dem
die Panik bleibt verborgen.

Hier machen nicht mal Käfer Halt.
Selbst Schnecken hasten weiter.
Doch was dort wächst, blüht nicht in mir.
Mich macht mein Garten heiter.

4/18

Samstagsmoment

„Warum gehst du denn nicht hier rüber?“
Die kleine, ältere Dame mit dem rotwangigen Puppengesicht ist deutlich ungehalten. In der hanseatisch-nasalen Sprachmelodie liegt eine ungeduldige Schärfe. Man ist auf dem Weg zum Markt. Die Baumwollbeutel baumeln leer und leicht die Handgelenke hinunter; ihre Hände sind tief in den Jackentaschen vergraben. Graue Locken rollen sich zu einem natürlichen Pelzkranz um den Rand der auberginedunklen Strickhaube. Die Dame steht auf der Straße, aber noch zwischen zwei parkenden Autos. Ihr Mann ist auf dem Gehsteig geblieben, dafür bereits einige Meter weiter gegangen.
„Ja, ja. Geh du mal!“ ruft er, ohne sich umzudrehen. Als Anton und ich ihn passieren, blickt er kurz eindringlich in die trüb-blinden Augen des Hundes, dann in meine und macht einen leichten Schritt seitwärts, um uns Platz zu machen.
„Hier wär doch frei gewesen!“ tönt es verständnislos in meine Richtung.
„Ja, ja!“
Anton bremst beim Baum auf Höhe der Dame ab. Während er schnuppert und mit tänzelnden Pfoten die feuchte Erde bearbeitet, drehe ich mich um. Dabei streift mein Blick eine Fensterbank mit Blumenkasten, in dessen Mitte ein dunkler, schmaler Buddha sitzt. Den Rücken hat er der Straße zugewandt. Was im ersten Moment aussieht wie ein kleiner Rucksack, entpuppt sich als Meisenknödel, der um den Buddhahals hängt.
„Ich bin jetzt drüben!“ lässt die Dame ihren Mann wissen.
„Ja, ja, sei du drüben!“ ist seine launige Antwort. Anton zerrt mich von der buddhistischen Knödelstation weg. Es beginnt leicht zu tröpfeln. Auf der anderen Straßenseite ploppt ein türkisgreller Schirm auf. Die Marktzeit lässt es rege sein auf dem Gehsteig. Väter mit Kind auf den Schultern, Babys in Tragetüchern. Paare händehaltend oder untergehakt. Einkaufszettelstudierende Menschen, deren Nasenrücken sich im nun windigen Sprühregen kräuseln. Ich beschleunige meine Schritte, biege in eine weniger wuselige Seitenstraße ab. Entscheide mich um. Gehe zurück und betrete den Markt. Was habe ich ewig nicht gekauft? Heute ist es dran! Chicorée. Habe ich überhaupt je Chicorée gekauft? Ich nehme drei. Drei, weil Ostern ist. Dreifaltigkeit. Am dritten Tage auferstanden. Drei … fühlt sich jedenfalls richtig an. Zwei Orangen. Etwas Brokkoli. Kohlrabi? Ja, bitte. Unbedingt mit Blattgrün. Natürlich. Das darf ruhig unordentlich aus meinem Rucksack wippen.
„Warum nimmst du denn nicht von da?“
„Ja, ja, lass mich mal!“
Am Stand hinter mir das Ehepaar. Er greift gerade ins Suppengrün. Die Dame testet Avocados. Anton zieht Richtung Fischstand. Ich Richtung Ausgang.

Kurz vor der Haustür biegt ein großer, hünenhafter Mann mit einer Sackkarre um die Ecke. Er führt sie nur mit einer Hand. Sein Gang ist einknickend und hat etwas Schmerzhaftes in sich. Die Strickjacke, vom Sprühregen benetzt, wirkt unangenehm klamm. Unten auf der Sackkarrenablage liegt eine gefüllte Bäckertüte. Keine Brötchen, eher Kuchen. In der freien Hand trägt er eine zweite Bäckertüte. Kein Kuchen, eher Brötchen. Spontan möchte ich ihm einen Meisenknödel um den Hals hängen. Aber Anton zieht mich weiter.
Es ist Samstagmorgen in Eimsbüttel.

Podcastmoment

Liebe Menschen im Anderswo,

der Hanseredner Christoph Hurst hat mich in seinen EDUCAINER Podcast eingeladen. Wir reden über’s Reden und natürlich über’s Lachen. Kann man Humor lernen? Was tue ich gegen Lampenfieber? Woher kommen die Redeideen? Und was haben Grottenolme mit all dem zu tun?
Lasst euch überraschen.
Viel Freude beim Ansehen! https://www.youtube.com/watch?v=CbUKr9JIxcE&feature=share

educainer

Kisumumoment

Abenddunst liegt über Kisumu, als wir abheben. Die Luft ist rosa und wirkt wie ein Weichzeichner auf das Grün am Boden, das gleichgültig in die undurchdringlichen Wasser des Viktoriasees übergeht. Die Dunkelheit kommt schnell; selbst im aufsteigenden Flieger können wir dem Tag kaum einen Lichtmoment mehr abtrotzen. Ich blicke aus dem Fenster mit saugenden Augen, die nichts von der Landschaft loslassen wollen. Über den Wolken kann das Herz unverhofft schwer sein. Das leichte Ziehen hinter den Rippenbögen weitet sich aus zu einem tiefen, akkurat gezielten Stich, der Atmen kurzzeitig unmöglich macht. Die Tränen sind kühler als meine Haut und schummeln sich verstohlen bis an den Hals hinunter.
Ich würde der Stewardess jetzt gerne sagen, dass ich die Welt nicht verstehe. Nie verstanden habe. Dass alle Versuche lächerlich waren. Und sind. Einmal keine Erklärung zu haben so viel wertvoller war, als alle vorgedachten Schablonen.

Der Brite jenseits des Gangs, der sich mir in Nairobi als Matthew vorstellen und sagen wird, mein Händedruck sei aber verdammt „german kräftig“, verpasst den letzten Sonnenstrahl in den Wolkentürmen, indem er seine Augen auf dem Handy-Display verweilen lässt.
Die voluminöse Afrikanerin mit der Vielzahl ellenlanger Zöpfe, in der Reihe davor, dreht sich immer wieder zu mir um. Treffen sich unsere Blicke, schiebt sie mit dem Zeigefinger die große, schwarze Brille empor. Im gleichen Maße heben sich ihre Mundwinkel, doch die Lippen bleiben geschlossen. Einmal formen sie lautlos ein „Nice“ und dabei deutet sie auf mein Haar. Das Ehepaar vor mir teilt sich wortlos salzige Nüsse und wählt zum Mangonektar noch ein Wasser.
„Soft Drinks, Madame?“ Die Stewardess hat mütterlich meinen Tisch herunter geklappt und legt eine dünne Papierserviette hin. Als ich mein Gesicht zu ihr drehe, reicht sie mir wortlos nickend eine zweite.
„No. Thank you.“
Außer dem Blinken des Tragflächenlichts ist nichts mehr zu sehen. Die Serviette knistert beim sanften Aufdrücken auf dem Jochbein. Ich fühle die Müdigkeit mit der Innigkeit einer zu lang entbehrten Umarmung. Das Herz klopft ins Leere.

kisumu