Es klingelt.
Ich erwarte niemanden. Ich habe nichts bestellt. Es kann nicht für mich sein. Es klingelt öfter tagsüber. Paketboten oder Werbezettelverteiler. Manchmal öffne ich und nehme Pakete für Nachbarn entgegen. Beliebt bin ich nicht bei den Zustellern: 4. Stock Altbau, kein Aufzug.
Es klingelt.
Ich habe Ohrstopfen aus Silikon im Gehörgang. Der Nachbar unter mir hat seinen Tag mit Iron Maiden begonnen, ich mit texten. Schreiben und Geräusche vertragen sich nicht. Bei mir. Der Auftrag ist sowohl knifflig als auch spannend. Ich möchte jetzt einfach am und im Text bleiben dürfen. Keine Pakete. Kein Small Talk. Dem roten Faden folgend. Weiter schreiben.
Es klingelt.
Ein Paketmann hat noch nie drei Mal geklingelt. Okay, jetzt bin ich eh raus. Ich will nicht raus sein. Der rote Faden verschwindet vom Worddokument. Ich starre ins Leere. Aus dem Hausflur höre ich nun Schritte und Schnaufen. Irgendwer kommt die Treppen herauf. Bleibt im Stockwerk darunter und klingelt bei irgendwem. Der Iron Maiden Nachbar ist inzwischen außer Haus. Mir fällt auf, dass ich trotz Ohrstöpsel das Getippe auf meiner Tastatur hören konnte. Soll ich die Ohrstöpsel infrage stellen oder meine Ohren? Mein Blick kehrt zurück zum Text, ein Gedanke taucht auf und mit ihm der rote Faden.
Es klingelt.
Es klingelt.
Es klingelt.
Ich zuppe die Stöpsel aus den Ohren und schnelle vom Schreibtischstuhl hoch. In wenigen Schritten bin ich an der Tür, reiße sie auf und zische im Ton hysterischer Verzweiflung:
„Sie hören doch, dass ich nicht da bin!“
Im Hausflur steht ein kleiner Mann im Blaumann, mit einer Art Kapitänsmütze.
„Aber sicher war ich nicht“, sagt er und will sich abwenden.
„Was wollen Sie denn?“
„Ich wollte sehen, wer da ist.“
„Warum?“
„Weil wir dachten, dass wir das Wasser abstellen müssen.“
„Aha. Und wann müssen Sie das Wasser abstellen?“
„Wir müssen das Wasser gar nicht abstellen.“
„Sie klingeln mich von meiner Arbeit weg, um mir zu sagen, dass sie das Wasser nicht abstellen müssen? Wollen Sie mich veralbern?“
„Ich dachte, eine gute Nachricht wäre auch mal schön“, sagt der Blaumannmann, „aber Sie sind ja nicht da.“
Da hat er recht.