Tagsüber mit Feta

Herr Bodo Ottfried hatte neulich
nicht einfach Hunger, sondern gräulich.
Sein Magen knurrte unablässig,
das wurde schnell als schneller stressig.
Gemerkt, getan! Herr Ottfried lief
sofort zum Imbiss „beer & beef“.
Er würde Currywurst bestellen,
vielleicht sogar zwei Frikadellen,
dazu noch große Pommes Schranke,
so jedenfalls sein Giergedanke.
 
Doch als er um die Ecke wetzte
erschien, was ihn zutiefst entsetzte,
nicht „beer & beef“, er las indes
„Veganer Imbiss Sokrates“.
Das war ein Faustschlag in den Magen,
um es mal ganz direkt zu sagen.
Eine Grieche ohne Fleisch und Käse,
mit eifrei weißer Mayonnaise?
Das konnte nur ein Irrtum sein.
Mit Prüferblick trat Bodo ein!
 
Die Speisentafel auf dem Tresen,
war übersichtlich leicht zu lesen.
Tsatsiki, frisch, aus Sojabohnen,
Moussaka gleich in drei Versionen:
statt Hack mit Linsen, Nuss und Kernen.
(Hier kann der Gaumen noch was lernen.)
Ein Tofugyros mit Tomaten,
Zucchini kross in Öl gebraten
und Kokosjoghurt dattelsüß,
dazu ein Trauben-Birnen-Spieß.
 
 „Was darf es sein?“, die Frage traf
durchaus Herrn Ottfrieds Essbedarf.
So brachte ihn sein leerer Magen
dazu nicht einfach „Nichts!“ zu sagen.
Er flüsterte mit Trotz und Mut:
„Geback‘ner Feta wär jetzt gut.“
Sokrates stutzte. Klar, was kam:
„Vom Schaf is aber nicht vegan!“
Da standen beide, stumm und stummer,
der Imbiss randgefüllt mit Kummer.
 
Sie stehn noch heute, müsst ihr wissen,
ne Lösung hat nie angebissen.

(Diesen Text gibt es nur wegen des Kollegen, der da sagte: „Bettina, schreib doch was über Tagsüber mit Feta„. So. Bitte.)

off

 
die Hunde schlafen
im Sand
liegt das Plastik von Generationen
die sich nicht mehr kennen
und nichts als Pastellblicke
schummeln sich horizontverhangen
bis zum nächsten Drink
hoffen die Schildkröten
ihre Brut möge schneller sein als
die Schatten am Himmel
all der Sehnsuchtsbomber
nach Kurzweil
schreit das badebeschlappte Fußvolk
mit Ketten aus Gold
sprengt das Freiheitsgefühl alles
was zu verändern gewesen wäre
wartet nicht mehr
längst erloschen sind die Zauber
unterm Mond à la carte
nehmen wir noch einen Schluck
aus diesem ertrinkenden Meer
 
last minute
 

Ein Anfang (mit Mia)

Mia hat angerufen. Ob ich einen Baum mache, hat sie gefragt.

„Du machst keinen Baum?“

„Nein, Mia.“

„Hast du einen Adventskranz?“

„Nein, aber ich hab heute meine Fensterbänke adventlich geschmückt.“

„Bei mir wird alles lila dieses Jahr. Ich habe die Kiste aus den Neunzigern aus dem Keller geholt. Meine Neunziger waren lila. Ich war sicher, sie wären grün gewesen, aber gut, nun wird es eben lila. Wie wird es bei dir?“

„Wie früher“, wollte ich sagen. Hab dann aber einfach „rot“ gesagt, weil mir auffiel, dass „wie früher“ die Frage nach sich ziehen könnte, welches „früher“ ich meine. Die Kindheit? Die Neunziger? Die zweitausender Jahre? Oder „wie früher“, als ich noch nicht alleine lebte?

„Ein Anfang (mit Mia)“ weiterlesen

Drei ist nicht sieben.

Donnerstags um 8:00 Uhr.

„Marathon sollten Sie in den nächsten 14 Tagen noch nicht laufen.“

„Sehe ich aus als liefe ich Marathon?“

„Nein. Allerdings sehen viele Menschen, die Marathon laufen, nicht wie Marathonläufer aus.“

„Aber spazieren darf ich?“

„Hatten Sie damit pausiert?“

„Nein.“

„Und jetzt erwarten Sie ernsthaft eine Antwort? Das Schlimmste ist ja rum. Aber wenn Sie schöne Narben wollen, dann zerren Sie halt nicht an ihrem Gewebe.“

„Ja, das sagte Ihr Kollege schon.“

„Haben Sie gezerrt?“

„Bestimmt. Unbewusst.“

„Tut das weh?“ (Er drückt auf die Naht an der Schulter)

„Nein.“

„Hier?“ (Er drückt auf die Naht am Bein)

„Aua.“

„Ernsthaft?“

„Ja, natürlich ernsthaft. Ich sag doch nicht Aua, wenn es nicht weh tut.“

„Auf einer Skala von 1 bis 10?“ „Drei ist nicht sieben.“ weiterlesen

Köpfe

Die beiden Frauen sind klein. Zwillinge. Gleichgekleidete Zwillinge. Sie tragen blaue Hosen und blaue Anoraks, die gleichen grauen Rucksäcke, aus deren seitlichem Netzfach die gleichen blassgrünen Trinkflaschen ragen. Wanderstöcke. Selbst die Schuhe sind gleich. Ich vermute spontan eine gleiche Anordnung der im Sohlenprofil eingeklemmten Kiesel.

Sie setzen sich.  Im Bus. Nebeneinander, eine Reihe vor mir, allerdings auf der anderen Seite. Im Viertelprofil sehe ich die Ränder der gleichen Brillengestelle. Der gleiche Hautton, blass und teigig. Das Haar wurde nicht gekämmt, weist bei beiden eine deutliche Strähnigkeit auf, was das gesamte Erscheinungsbild von „leger“ zu „leicht ungepflegt“ verschiebt. Ich blicke auf die Hinterköpfe, auf denen das Haar im oberen Bereich verwirbelt auseinanderklafft, in alle Richtungen platt gedrückt von der Nacht auf dem Kopfkissen. Obwohl sich diese Kissenabdruckstellen in den Ausprägungsdetails etwas voneinander unterscheiden, bin ich fasziniert davon, wie groß auch hier der optische Gleichklang ausfällt.

Ich frage mich, ob sie gleiche Stimmen haben. Ob Zwillinge überhaupt gleiche Stimmen haben. Frage mich, warum ich mich das noch nicht gefragt habe. Und welche Zwillinge ich kenne. Denke an die Kessler-Zwillinge, kann mich aber nicht an ihre Stimmen erinnern, nur an ihre Beine und daran, dass sie den Scheitel auf unterschiedlichen Seiten hatten. Denke an Ben und Tobi aus meiner Schulzeit. Kann mich nicht an ihre Stimmen erinnern.

Die beiden Frauen wirken jünger, weil sie klein sind, dabei weist das Gesamtbild mindestens auf das fünfte Lebensjahrzehnt hin. Einzelne Haare wippen im Rhythmus der Bodenwellen.

Der Bus stoppt. Eine Wandergruppe steigt ein. Offensichtlich zwei Ehepaare. Die Männer tragen Strohhüte ohne was drunter, die Frauen geschummelte Locken. Wenig Sommer in den Gesichtern und viel Herzschwäche. Funktionskleidung in farblicher Abstimmung. Das erste Paar beige-betont, das zweite blau.

Nachdem sie bezahlt haben gehen sie in den hinteren Bereich des Busses.

„Ich bin im Bus“, sagt plötzlich die Frau auf dem Sitzplatz vor mir in ihr Handy, „da hast du Glück, dass du mich erreichst, steige gleich aus!“ Ob sie wohl dann aus der Welt ist?

Beim Wort „Glück“ werde ich des Marienkäfers gewahr, der über ihre stark fixierte Frisur vom Ohr Richtung Oberhaupt klettert. Gleich steigt er aus, denk ich.

Von den Zwillingen muss eine niesen.