Mageneingangsklappen, vier Stück. Acht Augen. Vierzig Finger. Du meine Güte! Vierzig! Wie viele Finger sind dann in der ganzen S-Bahn? Oder muss ich die Daumen abziehen? Der Männermund mir gegenüber öffnet sich. Vier Bauchspeicheldrüsen, denke ich. Und fast kann ich bis zu dieser hinab sehen, so groß ist das Gähnen des Mannes. Sein Smartphone brummt. Er zieht es aus der Tasche, hält es ans Ohr und klingt dann sehr russisch. Russisch sonor. Seine Lippen sind ganz schmal und formen die Worte kaum aus. Langsam spricht er. Betont und eindringlich. Akzentuiert. Die linke Hand ruht auf dem Oberschenkel. Manchmal hebt er sie kurz an und streckt dabei den Zeigefinger aus. Ca. 20 bis 28 Meter Darm, denke ich. Ungefähr 330.000 Kopfhaare. Der Russischsprecher hat eine Glatze. Also eine richtige. Die linke Hand liegt jetzt ruhig, nur der Zeigefinger bewegt sich hin und her, auf und ab. Er gibt bestimmt Anweisungen. Es könnte eine Wegbeschreibung sein. Ein Mordauftrag. Oder die Zubereitungsweise von Blinis mit Kaviar. Die Frau neben mir blättert in ihrem Buch auf die nächste Seite. Dann sieht sie kurz auf den Russischsprecher. Schwenkt auf den Herrn links daneben. Blick zurück ins Buch. In unserm Vierer hat’s acht Nasenlöcher. Würde ich Anton, meinen Gasthund, mitzählen, sogar zehn. Anton sitzt auf meinem Fuß, was für einen warmen Großzeh sorgt. Mir fällt auf, dass der Oberkörper des Mannes neben dem Russischsprecher sachte dessen Zeigefingerbewegungen nachvollzieht. Vermutlich unterbewusst. Der Russischsprecher gähnt noch einmal, ich versuche seine Bauchspeicheldrüse zu sehen; die Bahn bremst und meine Sitznachbarin kippt leicht nach vorn. Ihr Knie stößt an das Knie des Herrn.
„Pardon.“
Das hört man selten! Verzückt heben sich meine Mundwinkel, was meine Mütze tiefer in die Stirn rutschen lässt. Der Herr greift sich an den beschalten Hals und drückt offensichtlich auf ein Stimmventil. Leise, langsam und zart röhrend antwortet er: „Kein Problem.“
Das lässt den Russischsprecher das Smartphone vom Ohr nehmen und seinen Sitznachbarn betrachten. Die Frau hat nicht einmal aufgeblickt. Aus dem Smartphone spricht jemand ins Leere.
„Tut das nicht weh?“
Fast fällt mir die Tasche vor Schreck auf Anton, so laut brüllt der Russischsprecher seine Frage. Frau und Herr zucken ebenfalls. Letzterer drückt auf seinen Hals: „Nein. Durchaus nicht.“ Die Frau klemmt einen Finger zwischen die Seiten und klappt das Buch zu. Dann schreit sie: „Aber anstrengend ist es schon, oder?“
Die Stimme aus dem Smartphone wirkt aufgeregt und bringt mit rastlosem Stakkato in aller Gedächtnis, dass ein Gespräch jäh in der Luft hängt. Zeigefinger, Knopfdruck, Stille.
„Nein. Durchaus nicht. Ich bin übrigens nicht schwerhörig. Mir fehlt der Kehlkopf. Nicht die Ohren.“
Betreten sehen sich Frau und Russischsprecher an. Sie klappt das Buch wieder auf. Er hebt das Smartphone wieder ans Ohr.
Vier Pulsfrequenzen.
Und ich darf noch einmal die Bauchspeicheldrüse suchen.