Als ich das Ende der Hecke erreiche, steigt mir der bekannt liebliche Duft in die Nase und hinter dem baumhohen, städtisch rasierten Grün wird ein Flieder sichtbar. Krumm und dünn, das Wort zart würde nicht passen. Einige der weißen Blüten haben schon an Volumen und Saftigkeit verloren, zeigen braune Ränder und erste dunkle Stellen. Ich greife mit der Hand in die noch satten Blüten. Flieder fühlt sich einzigartig an in den Handmulden. Weich und gleichzeitig fest, man könnte ihn kraulen, ohne dass er zerfällt und spürt dabei den anschmiegsamen Widerstand dieser kleinen Blütenkelche.
Ein Niemandsflieder am Straßenrand.
Hat sich selbst gepflanzt, irgendeinmal. Hat dem Schatten der Hecken getrotzt und der Leere des Bodens. Zu karg, um Aufmerksamkeit zu erregen, an diesem Straßenabschnitt. Hier geht man rasch vorbei, nicht schlendernd entlang. Ein Weg der kein Ziel ist, dessen Grün nicht einmal zur Kulisse reicht. Unland. Was hier wächst, wächst für sich allein.
Die Abendsonne legt sachte ihr Gold auf uns, ich atme die Süße, die der Wind immer wieder neu verwirbelt. Direkt über mir ist die üppigste Stelle. Noch einmal tauche ich mit den Armen tief ins Blättermeer und merke überrascht: der Strauch hält mich. Fest. Und innig.

„Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle“
E. Kästner
Schön!
Jaaaa, der Flieder, besonders schön und duftend in diesem Jahr,
finde ich. Weil seine Blütezeit sich so verteilt – blauer längst schon
verblüht – der weiße, wie von Dir beschrieben, in voller Pracht, teil-
weise. Ich liebe Flieder – kann einfach mein Gesicht hineinstecken
und mir das Grinsen von Passanten einfangen! „Keiner versteht
mich“ – aber Du!!
Vielleicht auch durch das Buch „Die Fliederinsel“ (Dänemark), wo
es um die Einzigartigkeit von Fliederblüten und Menschen geht.
Oh, das Buch hört sich gut an! Danke für den Tipp, Marie-Luise. Ich grüß dich herzlich!
Zauberhaft geschriebgen, liebe Bettina. Witzigerweise habe ich Flieder einmal fuer eines meiner Buecher recherchiert. Wenn man auf „wilden“ Flieder stoesst, ist das immer ein Hinweis darauf, dass da frueher einmal eine menschliche Behausung gewesen ist. Flieder saet sich nicht selbst aus …
Das ist ja spannend, Susanne. Irgendwie tröstlich. Jeder Niemandsflieder war also einmal ein Jemandsflieder. Danke!