Anne

Vehementes Vogelzwitschern, so als könnten all die Kehlchen den Himmel blau singen. Die Sonne wird noch kommen, denk ich, und gehe weiter. Samstagmorgen. Der Stadtteil im Einkaufsmodus. Und  Frühfrühling. Farbpunkte im kahlen Geäst. Manche Menschen tragen Mantel und Rollkragen, andere die Jacken offen und ohne Schal. Hunde im Pullover scheinen mir überflüssig, sind aber da.

Wenig Lächeln. Ich auch nicht. Ein junger Mann kommt mir entgegen. Riesengroß, bestimmt zwei Meter. Riesenbreit, muskelbreit und –bepackt. Auf dem wuchtigen Stahlkörper ein Kinderkopf mit Nickelbrille und Kopfhörern über der Dockermütze. Er schaut aufs Display, ich auf seinen Hals, den Rand vom Schraubgewinde suchend. Es muss eins geben.

Kinder schreien. Immer schreien Kinder. Jetzt reißt der Himmel auf. Niemand lächelt. Augenblicklich fühle ich Wärme im Gesicht. Jetzt muss ich lächeln. Und blinzeln. Rieche heißes Fett aus dem Imbiss links. Frühlingsfett. In den Blumenläden ist alles voller Tulpen.

Und dann plötzlich Anne. Direkt vor mir. „Anne“ weiterlesen

Tagsüber mit Feta

Herr Bodo Ottfried hatte neulich
nicht einfach Hunger, sondern gräulich.
Sein Magen knurrte unablässig,
das wurde schnell als schneller stressig.
Gemerkt, getan! Herr Ottfried lief
sofort zum Imbiss „beer & beef“.
Er würde Currywurst bestellen,
vielleicht sogar zwei Frikadellen,
dazu noch große Pommes Schranke,
so jedenfalls sein Giergedanke.
 
Doch als er um die Ecke wetzte
erschien, was ihn zutiefst entsetzte,
nicht „beer & beef“, er las indes
„Veganer Imbiss Sokrates“.
Das war ein Faustschlag in den Magen,
um es mal ganz direkt zu sagen.
Eine Grieche ohne Fleisch und Käse,
mit eifrei weißer Mayonnaise?
Das konnte nur ein Irrtum sein.
Mit Prüferblick trat Bodo ein!
 
Die Speisentafel auf dem Tresen,
war übersichtlich leicht zu lesen.
Tsatsiki, frisch, aus Sojabohnen,
Moussaka gleich in drei Versionen:
statt Hack mit Linsen, Nuss und Kernen.
(Hier kann der Gaumen noch was lernen.)
Ein Tofugyros mit Tomaten,
Zucchini kross in Öl gebraten
und Kokosjoghurt dattelsüß,
dazu ein Trauben-Birnen-Spieß.
 
 „Was darf es sein?“, die Frage traf
durchaus Herrn Ottfrieds Essbedarf.
So brachte ihn sein leerer Magen
dazu nicht einfach „Nichts!“ zu sagen.
Er flüsterte mit Trotz und Mut:
„Geback‘ner Feta wär jetzt gut.“
Sokrates stutzte. Klar, was kam:
„Vom Schaf is aber nicht vegan!“
Da standen beide, stumm und stummer,
der Imbiss randgefüllt mit Kummer.
 
Sie stehn noch heute, müsst ihr wissen,
ne Lösung hat nie angebissen.

(Diesen Text gibt es nur wegen des Kollegen, der da sagte: „Bettina, schreib doch was über Tagsüber mit Feta„. So. Bitte.)

off

 
die Hunde schlafen
im Sand
liegt das Plastik von Generationen
die sich nicht mehr kennen
und nichts als Pastellblicke
schummeln sich horizontverhangen
bis zum nächsten Drink
hoffen die Schildkröten
ihre Brut möge schneller sein als
die Schatten am Himmel
all der Sehnsuchtsbomber
nach Kurzweil
schreit das badebeschlappte Fußvolk
mit Ketten aus Gold
sprengt das Freiheitsgefühl alles
was zu verändern gewesen wäre
wartet nicht mehr
längst erloschen sind die Zauber
unterm Mond à la carte
nehmen wir noch einen Schluck
aus diesem ertrinkenden Meer
 
last minute
 

Ein Anfang (mit Mia)

Mia hat angerufen. Ob ich einen Baum mache, hat sie gefragt.

„Du machst keinen Baum?“

„Nein, Mia.“

„Hast du einen Adventskranz?“

„Nein, aber ich hab heute meine Fensterbänke adventlich geschmückt.“

„Bei mir wird alles lila dieses Jahr. Ich habe die Kiste aus den Neunzigern aus dem Keller geholt. Meine Neunziger waren lila. Ich war sicher, sie wären grün gewesen, aber gut, nun wird es eben lila. Wie wird es bei dir?“

„Wie früher“, wollte ich sagen. Hab dann aber einfach „rot“ gesagt, weil mir auffiel, dass „wie früher“ die Frage nach sich ziehen könnte, welches „früher“ ich meine. Die Kindheit? Die Neunziger? Die zweitausender Jahre? Oder „wie früher“, als ich noch nicht alleine lebte?

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Drei ist nicht sieben.

Donnerstags um 8:00 Uhr.

„Marathon sollten Sie in den nächsten 14 Tagen noch nicht laufen.“

„Sehe ich aus als liefe ich Marathon?“

„Nein. Allerdings sehen viele Menschen, die Marathon laufen, nicht wie Marathonläufer aus.“

„Aber spazieren darf ich?“

„Hatten Sie damit pausiert?“

„Nein.“

„Und jetzt erwarten Sie ernsthaft eine Antwort? Das Schlimmste ist ja rum. Aber wenn Sie schöne Narben wollen, dann zerren Sie halt nicht an ihrem Gewebe.“

„Ja, das sagte Ihr Kollege schon.“

„Haben Sie gezerrt?“

„Bestimmt. Unbewusst.“

„Tut das weh?“ (Er drückt auf die Naht an der Schulter)

„Nein.“

„Hier?“ (Er drückt auf die Naht am Bein)

„Aua.“

„Ernsthaft?“

„Ja, natürlich ernsthaft. Ich sag doch nicht Aua, wenn es nicht weh tut.“

„Auf einer Skala von 1 bis 10?“ „Drei ist nicht sieben.“ weiterlesen