Funktionelle Dysphonie – Teil 3

„Das fühlt sich an wie ein Peeling.“ sagt die medizinische Fachfee und schrubbt mit einem undefinierbaren Pad auf meiner Stirn herum. „Hinter die Ohren muss ich auch.“

Hinter die Ohren?
Schweigend nicke ich. Ich spüre, wie sich die abgerubbelte Stirnstelle rötet. Tief rötet. Mindestens 2-Euro-Stück groß.

Meinen dritten Termin beim Halblockenarzt hatte ich mir anders vorgestellt. Mein schlichter Plan: Umwerfend aussehen, Test machen, Arzt verfällt spontan der reinen Schönheit meines makellosen Hörnervs – Hollywoodsonnenuntergang. Abspann.
Stattdessen muss ich das Geplante mit dem Unvorhergesehenen verbinden. Bronchitis und Kehlkopfentzündung haben mir die Stimme geraubt. Der Arzt wird tatsächlich gebraucht.

„Sie hören gleich Geräusche! Bitte keinesfalls bewegen!“

Die Kabel der Elektroden, die mittlerweile hinter meinen Ohren und auf meiner Stirn kleben, sind kalt. Das Stirnkabel liegt längs über meinem Gesicht. Nicht bewegen. Es kitzelt an meiner Nase. Nicht bewegen. Plötzlich Kratzen im Hals. Nicht bewegen. Es bebt in den Bronchien. Nicht bewegen. Das Kabel rutscht über meine Wange und strandet vorm Ohr. Nicht bewegen!

Knattern. Rattern. Piepen.
„Fein. Dann können Sie jetzt zum Doktor.“  Augenblicklich entlädt sich der Husten. Der Kopf gleichmäßig rot.
Der Halblockenarzt öffnet die Tür. Zwinkert nicht. Nicht!
„Na! Sie sehen heute aber mal richtig sch… stark beansprucht aus.“
Ich möchte auf dem Absatz kehrt machen.

Stark beansprucht?
„Da hat es Sie ja richtig erwischt.“
Ich setze an, etwas Lautähnliches von mir geben zu wollen.
„Klappe halten! Ich weiß schon, Sie haben Kehlkopf. Dann lassen Se mal sehen.“
Er greift zur Papierrolle. Mein Blick wird flehend.
Och bitte. Och nee. Nicht wieder.
Ich setze an, etwas Lautähnliches von mir geben zu wollen.
„Klappe halten, sagte ich! Schon klar, Sie haben da keine Lust zu. Muss sein. Sagen Sie Hiii.“ Er umwickelt meine Zunge mit Papier und zieht sie einmal bis zum Mond und zurück.

Hiii. Ich soll Hiii sagen. Ohne Stimme. Witzbold. Nein, nicht dieser komische Metallstab. Ich muss husten. Hallo, bitte, mal kurz unterbrechen, ich muss husten.
Ich setze an, etwas Lautähnliches von mir geben zu wollen.
„Hiii! Sie sollen Hiii sagen.“
Der Halblockenarzt wirkt ungehalten.
„Einmal kurz Hiii!“
Er ist ungehalten.

Sie ungehobelter Mensch! Ich muss husten. Hallo, bitte, ich kann nicht mit Kratzen im Hals Hiii sagen. Hallo, bitte, einmal Zunge loslassen und mich kurz husten lassen!
Mein Zappeln auf dem Stuhl ist das eines Masthuhns, während des Elektrotauchbads.
„Hiii! Nicht Grunzen. Nicht Zappeln. Nur Hiii!“

Geht’s noch? War der Kaffee heute zu kalt oder was ist los?
„Hoggrrrrfrrrrrrrrrrgnnn.“
„Hiii!“
„Hgggggggrrrrrriiii.“
„Hiii!“
„Grrriii.“
„Na, also. Sieht auch sch…nicht gut aus.“

Er lässt meine Zunge los, sie rollt zurück. Augenblicklich entlädt sich der Husten. Der Kopf glühend rot. Husten ohne Stimme hat Erstickungstod-Sound. Der Halblockenarzt ist ungerührt auf seinem Stuhl zum Schreibtisch gerollt und tippt in den PC.
„Die Klappe halten Sie für mindestens sieben Tage. Mindestens. Trinken Sie. Schweigen Sie. Und nicht Flüstern!“
Weiß ich ja.
„Wissen Sie ja.“ Er tippt.
„Der Hörnerv ist übrigens super. Makellos. Ihr Tinnitus kommt nicht von da.“
Super. Wirklich.

Er dreht sich um. Ich will Lächeln. Augenblicklich entlädt sich der Husten. Der Kopf nun tiefrot. Bonbon. Ein Königreich für ein Bonbon!
„Hier, lutschen Sie mal.“ Durch einen Tränenschleier sehe ich eine Hustenpastille in seiner Hand.
Ich setze an, etwas Lautähnliches von mir geben zu wollen.
„KLAPPE HALTEN.“ Er zwinkert nicht.

Ich glaube, das wird nichts mehr mit Hollywood.

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