„Strang? So wie ich?“
„Nein, Stramm. Militärisch sozusagen.“
„Ah. Gut, Frau Stramm. Dann sehen wir uns am 3.6.1998 um 10 Uhr“
Sie wolle kein Gewese. Eine ordentliche Reinigung. Die Knötchen auf der Stirn solle ich „ruhig feste rausdrücken.“ Dass die Knötchen Talgdrüsenwucherungen sind und damit unausdrückbar, nahm sie zur Kenntnis mit einer Mischung aus Enttäuschung und Anerkennung meiner Hautkenntnisse.
„Also da kann man nichts machen?“
„Doch. Der Hautarzt. Lasern. Krytotherapie. Es gibt verschiedene Ansätze.“
„Man sagte mir, das seien Meli…Meli…Hautgries.“
„Milien könnte ich entfernen – aber es sind halt keine.“
Frau Stramm kam alle 3 Wochen zur Kosmetikbehandlung. Eine große Frau, damals 71 Jahre alt, mit kreideweißem, stark borstigem Haar, das sie im Winter kurz und im Sommer sehr kurz trug. Pechschwarze Augenbrauen, ledrig-feste Haut und ein klassischer Strichmund ohne jegliches Lippenrot, den sie dennoch mit einem Hauch von rosa Lippenstift zu markieren versuchte.
Die Körperhaltung kerzengerade; die Stimme bestimmt, altersrauchig und der schnörkellosen Sprache in angemessener Lautstärke pointierte Betonung gebend.
„In Ihrem Alter war ich schon einmal geschieden“ verriet sie, nachdem sie mich nach dem meinen gefragt hatte.
„Ich hatte drei Männer. Mit meinem ersten Mann gehe ich inzwischen alle sechs Wochen einmal essen. Er ist lange wieder verheiratet. Die Frau ist langweilig, wenn Sie mich fragen, passt aber zu seiner natürlichen Trägheit. Die anderen beiden sind gestorben. Ein Jammer. Mit dem Herrn Professor hätte ich es noch ein wenig ausgehalten, obwohl ich sagen muss, dass das allerbeste an dieser Ehe meine Schwiegermutter und seine Pension waren. Mit meiner Schwiegermutter bin ich auch noch verreist, als ich längst Witwe war. Überlegen Sie sich das mit der Heirat Frau Strang. Und wenn es gar nicht anders geht, sagen Sie dem Kerl eins direkt: Schatz, ich steh nicht hinter dir, nicht vor dir, sondern neben dir. Don‘t fence me in! Sie verdienen ja gottlob ihr eigenes Geld. Und kaufen Sie sich einen Hund.“
„Einen Hund?“
„Naja, ich hoffe sehr für Sie, dass nicht etwa Kinder wollen.“
„Ich …“
„Also, dann, ein Hund. Sehr vernünftig. Sie sehen auch nicht nach Kindern aus.“
Frau Stramm erzählte von den Reisen mit der Schwiegermutter. Dass kein Mensch mehr als Haferflocken zum Leben bräuchte und all der Kochkram völlig sinnlos sei. Das sähe man an ihr. Zum Frühstück Haferflocken in kalter Milch, abends in warmer. Danach drei Zigaretten über den Abend verteilt. „Ich habe Werte wie eine junge Frau und Knochen wie ein Baum. Die Menschen kranken an dem ganzen Schnickschnack. Kochen Sie etwa gern?“
„Ja, durchaus. Ich esse auch gern.“
„Hören Sie auf damit. Vergeudete Zeit. Reisen Sie lieber. Die Welt ist so schön. Haben Sie einen Mann?“
„Einen Freund.“
„Wohnt der etwa bei Ihnen? Lassen Sie niemanden bei sich wohnen. Schon gar keinen Mann. Und wenn doch, sagen Sie ihm, wo sein Platz ist. Ich hoffe, er weiß wie man Wäsche macht. Wenn Sie abends nach Hause kommen, sollte alles geregelt sein. Und stellen Sie dem bloß kein Essen hin! Will der Sie heiraten? Sagen Sie in jedem Fall Nein. Es sei denn, die Schwiegermutter und die Pension taugen etwas.“
Frau Stramm sagte nie einen Termin ab. Elf Jahre lang, alle drei Wochen. Die Augenbrauen bekamen immer mehr weiße, vereinzelt in den Himmel kringelnde Haare, die ich zu kürzen und zu färben hatte. Meine fortschreitende Ehelosigkeit bedachte Frau Stramm manchmal mit einem Schulterklopfen und immer mit nickendem Wohlwollen. Die ersten Zeichen ihrer Demenz waren zart, aber eindeutig.
„Glauben Sie nicht, ich wüsste nicht, was los ist! Es ist ein Jammer mit dem Kopf. Ich werde Sie alles doppelt und dreifach fragen.“
Und ja, das tat sie. Don’t fence me in. Mein Platz ist neben dir, nirgends anders. Reisen Sie! Niemand braucht mehr als Haferflocken. Ein Jammer.
Bis zu dem Tag, an dem sie stürzte und für mehrere Wochen in eine Klinik kam. Ich hörte lange nichts. Dann hatte ich eines Abends eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter:
„Hallo Frau Strang, Stramm hier. Mein Neffe war der Meinung, ich solle in seine Nähe ziehen. Da bin ich nun. Das ist leider 280 km entfernt von Ihnen. Es ist ein Jammer, dass ich nicht mehr mitbekommen werde, wie es mit Ihnen weitergeht, aber ich bin guter Dinge, dass Sie keinen Unsinn machen. Obwohl Sie ja gern kochen. Eine Schwäche hat eben jeder. Danke für die gute Zeit. Was muss ich der neuen Kosmetikerin sagen, wie die Dinger auf der Stirn heißen? Oder wird sie das wissen? Ach, rufen Sie mich lieber nicht zurück. Oder doch, rufen Sie mich zurück. Bis später.“
Frau Stramm hatte manches hinterlassen. Nur keine Nummer.
Wieder so berührend geschrieben. Danke, ich kann sie vor mir sehen! ?
Kennst du dieses Buch? https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/marzahn-mon-amour/978-3-446-26414-4/
Hat mich erinnert
Lg aus Österreich
Und wie ich das kenne. Ein wunderbares Buch und ich liebe es. 🙂