Milchkaffee. Butterbretzel Es gibt Clubsessel vor kleinen, runden Tischen und normal große Tische. Viereckig, vierfach bestuhlt. Eine Reisegruppe umplappert die einzigen Stehtische. Die Brezel ist restwarm. Die Butter leicht angeschmolzen. Der Kaffee schmeckt überraschend aromatisch.
Ich habe mir meinen Mantel in den Rücken geklemmt und versinke deshalb weniger im Sessel, als der Mann zwei Tische vor mir. Sein lockiges Haar ist am Hinterkopf noch platt und auseinandergedrückt von der Nacht. Kopfhaut schimmert deutlich hervor. Wenn er sich nach vorne beugt, um einen Schluck aus der Tasse zu nehmen, tanzen die Minilöckchen über den Ohren kurz auf und ab.
Am „Coffee-Counter“ hat sich eine kleine Schlange gebildet. 4 Männer, zwei Frauen. Der erste Mann erhält einen Latte Macchiato mit Großkeks (auf einem Extrateller) und steuert den Sitzbereich an. Er hat weißes Haar. Seine randlose Brille verschwindet auf der blassen Haut ebenso, wie sein Kinn in den Hautfalten, die sich von den Wangen an abwärts raffen. Er wirkt unschlüssig. Schwenkt erst Richtung Clubsessel. Stoppt. Dreht sich dann zu den großen Tischen. Stoppt. Der Milchschaum des Latte Macchiatos wackelt leicht bei jeder Bewegung. Aus dem Hintergrund kommt nun mit festen Schritten der zweite Mann vom Counter. Espressotasse. Schwarzes Haar. Schwarze Augen. Schwarzer Schnurrbart. Den Blick von Inkasso-Moskau kopiert. Im Vorbeigehen macht er eine Kopfbewegung Richtung Latte-Macchiato-Weißhaupt, die eindeutig anzeigt, dass soeben ein Tisch zum Hinsetzen gewählt wurde. Beide nehmen Platz. Nebeneinander. Der Schwarzhaarige kippt seinen Espresso mit ruckartiger Hand- und Kopfbewegung hinunter. Die Tasse landet mit heftigem Klackern auf der Untertasse. Der Weißhaarige rührt lautlos braunen Zucker in sein Getränk und versucht den Großkeks krümelfrei zu zerteilen. Der dritte Mann vom Counter erreicht den Tisch. Normale Kaffeetasse. Poliertes Haupt mit Haarkranz. Kekslos, brillenlos, schnurrbartfrei. Dafür trägt er zum Sakko Fliege und ist in sein Smartphone versunken. Der Weißhaarige teilt noch immer den Keks in Stücke. Der Schwarzhaarige nimmt sie vom Teller und isst. Er feuchtet den Zeigefinger an der Fingerkuppe an und sammelt damit die natürlich vorhandenen Krümel ein. Schleckt den bekrümelten Finger ab und tippt ihn erneut auf die Tellerkrümel. Auch der polierte Mann nimmt nun Keksteile. Der Weißhaarige rührt in seinem Milchschaum. Niemand spricht. Inzwischen ist nur noch ein einzelnes Keksstück auf dem Teller übrig. Der Weißhaarige nimmt es, beißt ab und kaut sehr lange. Dann nimmt er einen Schluck aus der Tasse, um die doch offensichtlich längst vollständig zerspeichelte Keksmasse hinunter zu spülen. Obwohl man nichts hören kann, höre ich das gepresste Schlucken.
Meine Brezel ist aufgegessen. Ich schaue unverwunden zum Keksritual-Tisch. Mein Blick trifft den des Schnurrbärtigen, während ich das Brezelsalz mit meiner Fingerkuppe vom Teller tupfe, wie er die Kekskrümel. Wir bemerken den gestischen Gleichklang. Er grinst und macht mit erhobener Fingerkuppe eine „Zum Wohl“-Geste in meine Richtung. Ich grinse zurück. Der Weißhaarige rührt. Der Polierte blickt ins Smartphone.
Draußen wird es allmählich hell.