A1-Moment

Der Barista sieht aus wie der junge Johnny Depp. Johnny Depp war nie mein Typ, aber der Barista verströmt bereits bei der Zubereitung eines Espresso derart viel Charisma, dass die Typfrage obsolet ist. Für einen Moment vergesse ich den Autobahnraststättenflair um mich herum. Ein Ehepaar vor mir ordert zwei Café Crema und einen Café Latte. Ob sie Wasser dazu möchten? Der Ehemann winkt eifrig ab. Man sieht ihm an, dass er es für eine zu zahlende Offerte hält. Die Frau legt ihm beruhigend die Hand in die Ellenbeuge: „Aber das trinkt man doch so, Knut.“
Der Mann heißt tatsächlich Knut. Ich freue mich.

Charisma braucht Zeit. Die Kaffeezubereitung zieht sich etwas. Ich stakse mit den Augen über die Karte. Zwei Kaffee hatte ich schon. Ich sollte etwas anderes trinken.
„Und für Sie, die Dame, was darf es sein?“
„Ich möchte einen Matcha Latte. Mit Sojamilch, bitte. Groß. To Go.“

O Gott. Ich habe alles in einer Bestellung untergebracht, was abschreckend wirkt: Matcha, Soja, to go.

Der Barista lässt sich nichts anmerken. Innerlich wurde soeben ganz sicher jedweder Sympathiepunkt für mich gestrichen. Man wird mir mit professioneller Höflichkeit mein Heißgetränk reichen, aber vermutlich dabei mit einem abwesenden Lächeln den Blick auf den Caramel-Fudge-Cookies ruhen lassen, um die Sojatussi-Verachtung stilvoll zu verbergen. Das Ehepaar vor mir erhält seine Bestellung. Hinter mir hat sich ein kleiner Halbkreis gebildet. Zwei LKW-Fahrer, ein hibbeliger Teenager und dessen Eltern.

Der Barista schäumt die Sojamilch auf. Sein Blick fixiert beschwörend erst den Schaum, dann mich.
„Haben Sie das schon einmal getrunken?“
„Ja. Doch. Ich glaube.“
„Sie wissen es nicht?“
„Nein. Ehrlich gesagt nein. Chai kenne ich natürlich.“
„Chai?“
„Ja, Chai Latte. Das ist doch so ähnlich. Nicht?“
„Hm.“
„Ich hatte schon so viel Kaffee heute.“
„Warum trinken Sie dann keine Cola?“
„Cola ist kalt.“
„Dann eben einen Tee.“
„Matcha ist doch Tee…?“
„Naja.“
Trucker 01 klinkt sich ein: „Gott, ist das grün!“

Der Barista hat den Matcha angerührt und gießt ihn in die Sojamilch. Der komplette Halbkreis hinter mir tritt nun näher und beäugt die wirklich grasgrüne Flüssigkeit und ihr Hinabsinken unter den Schaum.
„Ist das Chai?“ Die Teenie-Mutter zeigt mit dem Finger auf den Becher.
„Matcha.“, sagt der Barista.
Die Trucker gucken erst sich, dann mich an. Trucker 02 atmet filmreif laut.
„Mal ehrlich, Fräulein, das wollen Sie trinken?“
Der Teenager wird noch hibbeliger, dreht sich im Halbkreis und gluckst seinem Vater mit halb vorgehaltener Hand zu: „Fräulein …!“ Nun kichern beide. Nachdem er sich gefangen hat, sagt der Vater: „Früher gab es Filterkaffee und Schwarztee. Fertig.“
„Nicht gleich politisch werden!“, stupst seine Frau ihn an.

Ich habe inzwischen das Gefühl, die komplette Raststätte glotzt auf mich und meinen Becher. Selbst die Pfälzer Reisegruppe, die hinten bei Burger King eine Schlange bildet.
Der Barista stellt den fertigen Matcha Latte auf die Theke. Ich lege zwei Sanifair-Wertbons und vier Euro hin.
„Stimmt so.“
„Wohl bekomms!“
Der Barista zeigt ein entwaffnendes Lächeln, dann zwinkert er! Ich bin vernichtet. Schnappe meinen Matcha und eile gen Ausgang.
Trucker 01 ordert zwei Kaffee und setzt hinterher: „Einfach und anständig.“
Endlich draußen, fühle ich mich unanständig und kompliziert. Der Teenager und der Vater kichern sicher wieder.

Am Auto angekommen, stelle ich den Becher aufs Dach und nestle nach meinem Schlüssel. Knopfdruck, Türklicken. Der Himmel wird schwarz. Der Wind böig. Ich greife nach dem Getränk, meine Finger öffnen sich nicht rasch genug. Wie von einem sanften Faustschlag getroffen, kippt der Becher zur Seite. Grün-weiß-schaumige Flüssigkeit perlt dampfend über den weißen Lack. Ich mache einen Ausweichschritt, um den Spritzern zu entgehen.

Dann fällt der erste Regentropfen auf meine Stirn.

(2017, strang)

2 Antworten auf „A1-Moment“

  1. Ach, welch‘ wunderbare Sonntagslektüre, liebe Bettina.
    Ja, ha – die Unwissenheit und „was der Bauer nicht kennt,
    das ißt er nicht“ (sehr despektierlich, aber stammt von
    meiner Mutter, nur das noch „f“ dabei war!!)
    Mir hat Deine Geschichte gut gefallen, nur das Ende tat mir
    leid – so teuer und dann noch das Auto „vergrünt“.
    Ich mag auch gerne solche Getränke, nur Kaffee ist tabú!!
    Und Deine Wortstränge – immer wieder prima.

  2. Wieder einmal toll geschrieben. Und die Pointe – ach wie schade! Haette mir passiert sein koennen. Immer, wenn man mal was Besonderes will …

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